Autor: Bülent Gündüz

  • Zwischen Orient und Okzident

    Zwischen Orient und Okzident

    Dhafer Youssefs Tour alleine in diesem Jahr spricht Bände: Er ist beim Jazzfest in Budapest, bei Jazz à Vienne, besucht das La Défense Jazz Festival in Paris, spielt beim beim Montreal Jazz Festival, beim Festival Arabesques und natürlich bei fill in – International Jazz Festival Saar.

    Ich habe Dhafer Youssef erstmals mit seiner zweiten Platte „Electric Sufi“ wahrgenommen. Als jemand mit türkischem Migrationshintergrund erkenne ich natürlich sofort das Instrument, dass Yousef spielt, auch wenn es in der türkischen Musik kaum vorkommt. Die arabische Oud ist eine Kurzhalslaute, die Saz (in der Türkei häufig die mittellange Bağlama) eine Langhalslaute.

    Auch wenn beide unterschiedlich klingen und auch anders gespielt werden, sind sie sich nicht unähnlich. Die Oud klingt aber weicher und mit ihr lässt sich auch besser improvisieren. Während die Saz mit einem Plektrum gespielt wird, lässt sich die Oud mit Plektrum und Fingern spielen, was das Spektrum der Möglichkeiten erweitert.

    Als „Electric Sufi“ 2001 erschien, war ich gerade ein bisschen von der reinen Lehre des Jazz abgekommen und schaute mich stark in der Weltmusik um. Am liebsten dort, wo Jazz und Weltmusik sich überschnitten, etwa Musiker wie Nguyên Lê, Abdullah Ibrahim, natürlich der Buena Vista Social Club und viele afrikanischstämmige Musiker , die unbekümmert Jazz, Pop und Folkloristisches mischten. So musste man zwangsläufig irgendwann auch über den Namen Dhafer Youssef stolpern.

    „Electric Sufi“ war so anders als alles, was ich bisher kannte. Da war ein Musiker, der sich um Genre und musikalische Grenzen nicht scherte. Fröhlich kombinierte Youssef die Oud mit elektronischen Klängen des Synthesizers, Kontrabass, indischer Perkussion, europäischem und US-amerikanischem Jazz und kreierte etwas komplett Neues. Orientalische Sufi-Musik trifft auf Jazz, Rock, Elektro, Klassik und arabischer und indische Musik. Es entstand eine Musik, die den Zuhörer wie auf einem Teppich davon trägt in moderne arabische Städte, nach New York, nach Neu-Delhi, in die Wüsten des Nahen Ostens und in die Medina von Tunis.

    Bei Youssef hatte man erstmals das Gefühl, es gibt so etwas wie einen arabischen Jazz und er war für dieses Genre tatsächlich ein ähnlicher Vorreiter wie Jan Garbarek Jahre zuvor für den nordischen Jazz. Mit dem Album „Birds Requiem“ nimmt er die ätherisch wabernden Sounds auf, für die Garbarek so bekannt wurde, und würzte sie mit einer Prise Orient.

    Youssef ist aber nicht nur ein außergewöhnlicher Oud-Spieler, er nutzt seine mehrere Oktaven umfassende Stimme als Instrument und mischt in westliche Jazz-Klänge den typischen arabischen Gesang, den man sofort erkennt. Was sich wie Sprache anhört, ist meist nur ein Aneinanderreihen von Tonsilben, die ineinanderfließen. Das hinterlässt eine sehr ruhige, fast kontemplative Stimmung, die den Zuhörer in eine Welt von Tausendundeiner Nacht entführt. Aber Youssef singt auch arabische Texte.

    Wenn man dem Tunesier eines nicht vorwerfen kann, dann dass er langweilig ist. In den letzten beiden Jahrzehnten bewies er, wie viel Kraft in ihm und seiner Musik steckt. Obwohl Youssef seinem einmal entwickelten Stil treu geblieben ist, hat er sich konsequent weiterentwickelt.

    Mit dem aktuellen Album „Street of Minarets“ geht der Jazzmusiker den eingeschlagenen Weg weiter, integriert aber etwas stärker einen westlichen Jazz-Sound. Das wird schon im titelgebenden „Street of Minarets“ offensichtlich: Unter seinen arabischen Gesang legt Youssef einen modernen Jazzklangteppich. Auch in „Funk Sharq“, „Sudra Funk“ oder „Herbie’s Dance“ stehen die Jazzsounds gleichberechtigt neben Oud und arabischem Gesang.

    Warum das so ist, verrät die Entstehungsgeschichte der Platte. Der in Frankreich lebende Künstler lud mehrere Kollegen ein, mit ihm gemeinsam Musik zu machen. erst Mals feststand, wer dabei sein würde, komponierte Youssef. Herbie Hancock, Rakesh Chaurasia, Ambrose Akinmusire, Nguyên Lê, Dave Holland, Adriano Tenorio und Vinnie Colaiuta sind mit dabei. Insbesondere Hancock, Lê und Holland dürften vielen etwas sagen, zählen sie doch schon lange zu den Weltstars des Jazz.

    Auch Chaurasia ist kein unbekannter. Der indische Flötist ist kein Jazzmusiker, gehört aber zu den ganz großen der indischen Musik. Der US-amerikanische Jazztrompeter Akinmusire schwingt sich gerade zu den Großen auf. Seine Alben werden vom Jazzmagazin Downbeat fast immer mit den selten vergebenen fünf Sternen bewertet. Adriano Tenorio kenne zwar nur eingefleischte Jazzfans, die verehren den Schlagzeuger für seine Spielfreude und Improvisationskraft dafür umso mehr. Seinen Schlagzeugkollegen Vinnie Colaiuta dürften dann wieder viele kennen, weil er mit allen großen Musiker:innen auf der Bühne stand: mit Leonhard Cohen und Frank Zappa, Herbie Hancock und Chick Corea, Sting und Billie Evans.

    Entstanden ist ein Album, das einfach nur Spaß macht. Man merkt, dass die Musiker im Studio wirklich mit Lust und Laune gearbeitet haben. Andächtig lauscht man den sphärischen Klängen von „Flying Derwish Outro“, wippt bei „Spinning Hermit“ mit und bekommt mit „Bal D’âme“ feinsten Pianojazz von Hancock mit der Begleitung von Youssef an der Oud. Ein Dialog zweier großer Musiker. Ich freu‘ mich. Der Abend mit Dhafer Youssef wird ein rauschendes Jazzfest werden!

  • fill in AVENUE kommt

    fill in AVENUE kommt

    Es ist Mitte April, nicht mehr lange also, bis die fill in AVENUE startet und damit auch die Festivalsaison 2025. Auf die Idee kamen wir Anfang 2024. Wir wollten etwas Besonderes und Anderes machen. Neben dem klassischen Festival wollten wir eine Veranstaltung etablieren, die Menschen für den Jazz begeistern sollte und sie zum Festival lockt, auch wenn sie vielleicht keine klassischen Jazzhörer sind.

    Gemeinsam mit der GIU kamen wir auf die Idee, in der Gasse vor der alten Buswerkstatt in Quartier Eurobahnhof ein großes Straßenfest zu feiern. Ein Wagnis für uns. Wir mussten trotz Partnerschaft mit der GIU einiges finanzieren. Wir wollten alle Konzerte kostenlos halten, um möglichst vielen Menschen neugierig zu machen. Gleichzeit war Musik alleine nicht genug. Also haben wir Street-Food-Stände angesprochen, ein Kinderprogramm organisiert und mit Händlern geredet, ob sie nicht bei uns verkaufen wollen.

    Und wir waren selbst verblüfft: An einem Freitagabend im April feierten mehr als 4600 Menschen mit uns. Das Echo war großartig und die Begeisterung auf allen Seiten spürbar. Unser Produktionsleiter Paul Strohbach und unser Designer Tobias Turco hatten ganze Arbeit geleistet und ein tolles Flair kreiert. Dazu die Bajou Brass band, sich sich mehrfach musizierend durch die Straßen bewegte, die Band Problembär und die DJs hatten für gute Stimmung gesorgt. Dazu Malen, Schminken, ein Zauberer – ein tolles Kinderprogramm sorgte auch für fröhliche Stimmung bei den kleinen Besucher:innen.

    Richtig voll war die Hütte, als die Stars des 1. FC Saarbrücken zur Signierstunde kamen und auch für Fotos zur Verfügung standen. An einer Torwand könnt man Lose gewinnen, die in einen Topf wanderten. Zu gewinnen gab es Businesstickets, Festivalkarten und Trostpreise wie Popcorn. Der Erlös ging an das Projekt Regenbogen der Saarländischen Krebsgesellschaft.

    Der Aufwand und die Kosten für fill in AVENUE sind hoch, warum also nicht zwei Tage, wenn eh schon alles steht? Das war der erste Gedanke nach dem Ende der AVENUE und wir hatten wieder Glück – die GIU als Finanzpartner wollte das auch!

    Nun also an zwei Tagen. Los geht es freitags um 16 Uhr. Wie im letzen Jahr werden einige Stars des 1. FC Saarbrücken anwesend sein, In diesem Jahr erstmals dabei ist das Fanmobil des 1. FCS und wird ein paar Stunden halt machen. Und auch die Torwand ist wieder vor Ort. Bemalt wird sie von Kindern der Grundschule Am Ordensgut.

    In diesem Jahr wieder mit dabei ist „Problembär“, die feinsten „Groovekrach“ spielen, wie sie ihre Musik selbst nennen. Es ist eine Mischung aus Jazz, Punk, Funk und Soul. Vorher wird Franz Becker & Friends für entspannte Stimmung sorgen mit Smooth Jazz und Blues.

    Am Samstag geht es ab 11 Uhr mit einem Familientag weiter, am Nachmittag steht fill in AVENUE dann ganz im Zeichen des Lindy Hop. Der Tanzstil entstand Ende der 1920er-Jahre in den großen Ballsälen New Yorks zeitgleich mit dem Aufschwung des Swing der großen Big Bands, welche die Jazzmusik ­ orchestral weiterentwickelten. Unabhängig von Gesellschaftsschicht und Hautfarbe wurde im Savoy Ballroom und dem Cotton Club getanzt und das Leben gefeiert.

    Gemeinsam mit Lindy Hop Saarbrücken lädt fill in nicht nur zum Social Dance mit Live-Musik ein, es wird Vorführungen mit Choreografien geben, Flashmobs und einen Schnupperkurs für Anfänger. Die Musik kommt von der fünfköpfigen Swingband „Gramophoniacs“. Ein Leckerbissen auch für Nichttänzer:innen!

    Beide Abende beschließen übrigen DJs. Am ersten Abend legt Dj Liliom auf, am zweiten DJ Metty. Liliom spielt einen Gute-Laune-Mix, Metty, eigentlich Matthias von Humpty Records, wird vor allem Jazz auf den Plattenteller bringen.

    Dazu gibt es natürlich allerhand Leckereien, außerdem Marktstände, die Kunst, Kunsthandwerk, Schallplatten, Schmuck und Mode anbieten. Und auch für die Kleinen wird es wieder eine Menge zum Schauen und Ausprobieren geben.

  • Geheimtipp? Charlotte Planchou!

    Geheimtipp? Charlotte Planchou!

    Als unser künstlerische Leiter Oliver Strauch in Vorbereitung auf das Festival in diesem Jahr im November oder Dezember 2024 erstmals den Namen Charlotte Planchou als Musikern für die kommende Ausgabe erwähnte, konnte ich nur mit den Schultern zucken. Charlotte wer? Ich hab natürlich gegoogelt und schnell fest gestellt, dass ich da eine deutliche Lücke in meinem Leben als Jazz-Aficionado habe. Das mag daran liegen, dass ich stark im Modern Jazz verhaftet bin und den traditionellen Stilrichtungen der 1950er- und 1960er-Jahre. Sich hier auszukennen Bedarf schon einiges an Hören, Sehen und Lesen. Nimmt man zeitgenössische Jazzmusiker hinzu, die in dieser Tradition stehen, dann wird es noch viel unübersichtlicher. Zum anderen mag es darin begründet sein, das selbst bei den großen französischen Festivals der französische Jazz in den letzten Jahren und Jahrzehnten vor allem von afrikanischen Jazzern beherrscht wird und ich mich dort einfach inzwischen sehr zuhause fühle, weil es meinem Lebensgefühl entspricht. Ein Fehler, wie ich nun freimütig gestehen muss.

    Doch auch wenn Planchou in Deutschland noch weitgehend unbekannt ist, ist sie in Frankreich längst ein Star oder zumindest auf dem Weg dahin. Im vergangenen Jahr wurde sie vom französischen Jazz Magazine zur „Sängerin des Jahres“ gekürt. Gerade erst hat ihr die Académie du Jazz bei den Palmarès-Verleihungen den „Prix Evidence“ verliehen. In den Kommentarspalten bei Social Media wird sie in den höchsten Tönen gelobt, gar als Genie gefeiert. Wer also ist Charlotte Planchou?

    Und wieder war ich erstaunt. Planchou ist Saarländerin. Sie wurde als Tochter einer deutschen und eines Franzosen in Homburg geboren und wuchs dort und in Schmelz auf. Als sie fünf Jahre alt war, zog die Familie nach Paris, wo Planchou auch heute noch lebt. Die Sängerin spricht sehr gut deutsch, auch wenn sie es seit der Kindheit kaum noch spricht. Lustigerweise hört man gelegentlich, dass sie aus dem Saarland kommt, etwa wenn sie „nedd“ statt „nicht“ sagt.

    Planchou studierte Opengesang an der renommierten Haute École de Musique de Lausanne, wandte sich aber nach ihrer Rückkehr bald dem Jazzgesang zu. Wie so oft ist es ein Zufall. Mit einem befreundeten Jazzgitarristen, singt sie auf der Straße. Opernsängerin wollt sie eh nie werden, ihr gefielen einfach die Openstücke und die Art, über den Gesang Geschichte zu erzählen. Doch sie ist hingerissen vom Jazz, der ihr musikalisch mehr Freiheit gibt. Neben wenigen Eigenkompositionen singt sie vor allem Cover. Für sie ist es, so erzählt sie, kein Unterschied, ob sie eigene oder fremde Songs interpretiert, sie möchte erzählen.

    Mit „Petite“ erschien 2021 ihr erstes Album. Die französische Fachpresse überschlug sich mit Lob, Planchou wurde zu Jazzfestivals weltweit eingeladen. Bald gilt die junge Künstlerin als echter Tipp. Mainstreamig, poppig, aber mit ganz viel jazzigen Ecken und Kanten.

    Planchous neue, zweite Platte, heißt „Le Carillon“ (dt. „Glockenspiel“) und geht mutig weiter. Das Album startet mit „Green sleeves“. Langweilig, hat man schon Hunderttausendmal gehört. Ein Schmachtfetzen aus Elisabethanischer Zeit, der wehklagend die Liebe zu einer jungen Dame in grünem Kleid betrauert. Doch weit gefehlt. Bei Planchou hat man fast das Gefühl, das Lied zum ersten Mal zu hören, weil sie es so wunderbar interpretiert, das man selbst an die vergangenen Lieben seines Leben erinnert wird. Und dann ist da noch Mark Prioré, der aktuell zu den besten Jazzpianisten gehört und die Melodie einfach genial umsetzt. Es ist ein Genuss, sein Spiel zu hören.

    Auch im nächsten Stück ist das Piano allgegenwärtig und nicht bloße Begleitung der Stimme. „C’est la vie“ von Benjamin Britten. Sanft und beschwingt singt Planchou über das Leben. Ein echte Leckerbissen ist „A Sant Jan“, das selbst viele Franzosen nicht kennen, obwohl es längst zu den Klassikern des Chanson im Land gehört. Grund dafür dürfte der Gesang in einem okzitanischen Dialekt sein. Das Lied komponierte der provençalische Sänger Jan-Mari Carlotti. Und auch hier muss man wieder betonen, dass Prioré das Werk kongenial umsetzt. Den Flügel nutzt er mehr als Perkussionsinstrument denn als Tasteninstrument und hämmert, klopft und traktiert die Saiten. Planchou singt und spielt Gitarre und macht mit ihrer Stimme, das, was Prioré mit seinem Instrument macht. Sie fordert die Stimmbänder aufs Äußerste und schnalzt und scattet Melodien.

    Und es setzt sich ähnlich fort. „L’Albatros“ von Chansonnier Léo Ferré ist ein opulentes Werk, dass die ganze Qualität von Planchou erst richtig zeigt. Die musikalische Reduzierung des Originals auf das Klavier tut dem Song gut und bringt Planchous unglaubliche Stimme ganz zur Geltung. Es folgt „Die Moritat von Mackie Messer“ von Brecht und Kurt Weill, dann das portugiesische „tin tin por tin tin“, das vor allem durch Joao Gilberto bekannt wurde. Dann liest man „How happy the lover“ und ist erstmal verdutzt. Es gibt ein gleichnamiges barockes Stück aus der Oper „King Arthur“ von Henry Purcell, aber… Doch, das geht. Planchou schafft es, denn Kern der Melodie und den barocken Ton erkennbar zu erhalten und transferiert das Stück doch chansonhaft in das 21. Jahrhundert. Wow! Sehr ungewöhnlich, aber wow!

    Dann wird es wieder beschwingt und heiter. Planchou singt Carole Kings „You’ve got a friend“. Planchou kann auch poppig. Es macht Spaß, ihr zuzuhören und man wippt einfach mit. Mit „Ton Amant de Saint Jean“ gibt es dann wieder einen echten Chanson, eines der großen Stücke von Edith Piaf. Im letzten Song dann eine Rückkehr zu Benjamin Britten, der den englischen Kinderreim „Cuckoo, Cuckoo, what du you do?“ (dt. „Kuckuck, Kuckuck, was tust du?) vertont hat. Ein melancholisch schönes Stück und eine kleine Perle von Britten.

    Den Titel trägt das Album übrigens von den drei kurzen Instrumentalstücken, die das Album beginnen und dann immer wieder als experimentelles Intermezzo einfließen.

    „Le Carillon“ lebt von der gesanglichen Qualität Planchous und dem Können Priorés. Da haben sich wirklich zwei Musiker gefunden, die einfach wunderbar zusammenpassen. Hinzu kommt der Effekt, dass man sich immer wieder darauf gefasst macht, dass man das Lied ja schon kenne und dann wieder überrascht wird, wie eigenständig das Stück interpretiert wurden. Das Album ist wirklich ein großes Stück Jazzmusik, das uns da geschenkt wurde. Es wird spannend, Charlotte Planchou live auf der Bühne zu erleben, denn ihre Bühnenpräsenz ist atemberaubend.

  • Curtis – I love you

    Curtis – I love you

    „Curtis Stigers“ war 1991 eines meiner ersten Alben auf CD. Während die meisten Jazz-Enthusiasten auf Vinylplatten bestanden, siegte bei mir der Nerd in meinem Innersten. Die silbernen Platten versprachen perfekten Sound, waren klein und recht unempfindlich.

    Ich hatte natürlich „I Wonder Why“ gehört und fand den Song super, obwohl es als Mainstream-Ballade eher nicht in mein musikalisches Beuteschema passte. Auch „Your’re all that Matters to me“ war cool. Und bei dem Bläsersounds zu Beginn von „The Man Your’re gonna fall in Love with“ zitterten die Scheiben. Die Songs waren mit viel Blech arrangiert, sehr modern und dazu die rauchig-unverwechselbare Stimme des jungen Curtis Stigers.

    Und der Typ auf dem Cover sah einfach sympathisch aus. Schulterlanges Haar und ein leicht unsicherer Blick, der versucht, Selbstbewusstsein vorzutäuschen.

    Curtis Stigers in dieser Zeit als Schnulzensänger und Pop-Phänomen abzutun, greift aber zu kurz. Auch wenn Stigers vor allem über die Liebe und seine Sorgen damit sang, hatte man nie das Gefühl, das sei irgendwie „drüber“ und triefe vor Schmalz. Vielleicht, weil man ihm einfach abnahm, was er da sang.

    Produziert worden war das Album von dem jungen Glen Ballard, der damals noch recht unbekannt war, später aber Michael Jackson, Alanis Morissette, Anastacia, Aerosmith, Katy Perry und viele weitere Stars betreute. Ballard bewies immer wieder sein Talent, junge Künstler:innen zum Durchbruch zu verhelfen. Auch bei Stigers war Ballard als Toningenieur und Arrangeur dabei.

    Außerdem als Produzent dabei war Danny Kortchmar, den viele als Gitarristen von Carol King und James Taylor kennen. Aber Kortchmar war zu jener Zeit auch schon ein bekannter Produzent, der Neil Young, Billy Joel, Toto und Jon Bon Jovi produzierte. Die beiden Produzenten hatten großen Anteil daran, dass Stigers Platte zum Megaerfolg wurde und sich millionenfach verkaufte.

    Die 1990er-Jahre verschluckten Curtis Stigers – zumindest für mich. Die Alben „Time was“ und „Brighter Days“ waren gut, aber der außergewöhnliche Sound war im Mainstream angekommen und Stigers vom eigenen Erfolg überrannt worden. Die wuchtigen Arrangements zogen nicht mehr so richtig, außerdem erlebte der Techno seine Blütezeit und der Gangsta-Rap der Westcoast war angesagt. Wer cool sein wollte, hörte nicht Curtis Stigers.

    Ich versank derweil endgültig im Jazz, für mich gab es nur den Jazz der 1950er- und 1960er-Jahre, ein bisschen Funk und Soulmusik – alles andere war „Mainstream-Scheiß“. Ich lümmelte im Hades bei günstigen Spaghetti und „geiler“ Musik und verbrachte Nächte in der Gießkanne, die damals legendäre Jazzkonzerte mit Größen des Genres bot. Ein bisschen fühlte man sich wie im Village Vanguard oder dem Birdland in New York. Hier war der Mief der Kohl-Ära weit weg.

    Im Jahr 2002 fiel mir dann Stigers neue CD „Secret Heart“ in die Hände. Ich hab ohne große Erwartungen reingehört und war baff. Das war purer Jazz. Schon mit dem Album „Baby plays around“ hatte Stigers sich deutlich dem Genre zugewandt. Die Blechbläser waren weg, die klassische Jazzcombo mit Piano, Schlagzeug und Kontrabass war an ihre Stelle getreten und die Texte in einen swingenden Sound gehüllt. „Parker’s Mood“ war eine Anspielung auf Charlie Parker und auch der Jazzstandard „Billie’s Bounce“ eine Hommage an den großen Jazzsaxophonisten, der den Song eingespielt hatte. Stigers setzt den Song ganz auf seine Weise um, er spielt mit seiner Stimme im Scat und machte sie zum Instrument. Dazu ein getriebener Sound, Soli der Instrumente, die sich in den Vordergrund spielten und dann wieder zurück in Reih`und Glied treten und Platz machen für Stigers. Wow!

    Den eingeschlagenen Weg ging Stigers konsequent und mutig weiter. In den Charts war er damit nicht mehr vorne, aber man merkt ihm einfach an, dass er sich im Jazz zu Hause fühlte und es ihm und seiner Musik guttat. Er experimentierte viel mit Jazz-Sounds, nahm auch mal lateinamerikanische Rhythmen auf, integrierte Einflüsse aus der New York Jazzszene und probierte Neues. Da durfte dann auch mal eine Hammondorgel Soli spielen und eine Trompete übernahm den Melodiepart, wie etwa in „Lately I let things slide“ auf dem Album „Gentleman“.

    Dann kam Corona und die Welt stand still. Bei vielen Künstlern setzte die Pandemie aber auch kreatives Talent frei. Curtis Stigers wollte Musik machen und er wollte ein Publikum. So lud er regelmäßig auf YouTube in seine Küche ein, gab von dort Konzerte und offenbarte sein Talent als Entertainer. Stigers sang nicht einfach nur, er unterhielt sein Publikum mit Anekdoten. Mit Gitarre und Saxophon coverte er Songs und stellt eigene vor.

    Mit „Songs from my kitchen, Volume 1“ legt Curtis Stigers nun ein Album vor, dass Quintessenz dieser Zeit ist. Ob es ein weiteres geben wird, ist noch nicht klar, aber Stigers selbst sagt: „Ich dachte mir, ich lass die Tür offen.“ Material genug gibt es, die 53 einstündigen Episoden sind voll von grandioser Musik. Und natürlich mit einer jazzigen Version von „I wonder why“.

    Ich muss gestehen, dass ich sehr neugierig auf dieses Konzert bei fill in bin. Ich bin sicher, dass es ein unvergessliches Erlebnis wird. Es ist nicht nur eine Begegnung mit meiner Jugend, das Konzert wird die Intimität der Küchenkonzerte mit der Dynamik eines Live-Jazzkonzerts verbinden. Das kann nur gut werden.

  • Alles Neue macht der März

    Alles Neue macht der März

    Es ist sicher schon aufgefallen, fill in hat ein neues Design. Wir haben unser altes Design geliebt und viel Lob dafür bekommen, aber wir wollten uns weiterentwickeln. Die Vorgabe war klar: weniger verspielt, reduzierter, klarer und es sollte insbesondere in der Werbung auffallen.

    Nach einer Vorauswahl fiel unsere letztendliche Wahl auf die Saarbrücker Designagentur MM, M um Muriel Serf, Martha Bayer und Manuel Wesely. Die drei Designer:innen haben einige Erfahrungen mit dem Design von kulturellen Einrichtungen setzen das Erscheinungsbild des Heidelberger Stückemarkts um und entwickelten die Gestaltung des Theaterfestivals Adelante!

    Sofort fällt der neue Farbton auf. Aus dem hellen, erdigen Orange ist ein warmes, kräftiges Orange geworden. Die Grafik ist zugunsten der Information zurückgetreten, Typographie spielt eine wesentliche Rolle. Da ist einerseits das fette Cooper Black, das sofort ins Auge springt und fill in betont und dann die feine Oracle, die teilweise auch mit „springenden“ Buchstaben eingesetzt wird. Rhythmus und Lebensgefühl des Jazz werden so alleine durch Schrift transportiert.

    Auch die Website wurde umfassend überarbeitet und vereinfacht. Alles hat seinen Platz, es ist übersichtlich und schnell zu finden. Auch hier setzen wir das Orange wieder als starke Farbe ein und nutzen ein Weiß, das ein bisschen ins Elfenbeinfarbene geht. Immer wieder tauchen Kästchen auf, sowohl im Printdesign als auch bei Social Media und auf der Website. Das bringt Struktur und Ordnung in die Improvisation. Auch hier ein Anklang an den Jazz.

    Im neuen Design fehlt der Flamingo. Das Geflügel hat keinen wirklichen Platz und wir waren der Meinung, dass er nicht mehr so recht zum Festival passt. Entstanden war der Flamingo aus dem Ort im ersten Jahr des Festivals. In den Anfangsjahren des Deutsch-Französischen Gartens lebten hier Flamingos. An die sollte auch unser „Wappentier“ erinnern und als Maskottchen für eine positive Identifikation sorgen.

    Immer wieder wurden wir aber auch gefragt, was der Flamingo eigentlich mit dem Festival zu tun hat und mit dem Umzug ins E-WERK war auch nicht mehr wirklich erklärbar, warum da ein Flamingo über die Plakate flattert.

    Womit wir nicht gerechnet haben: Inzwischen lieben viele fill-in-Fans den Flamingo und möchten ihn behalten. Also haben wir beschlossen, dass der Flamingo nur in sein Winterquartier geflogen ist und wiederkommen wird. Er wird vielleicht ein bisschen anders aussehen – schließlich werden auch Flamingos älter – aber er wird bleiben. In der ein oder anderen Form. Mal schauen, wo er uns in den nächsten Monaten über den Weg läuft flattert.

    Wir lieben das neue Erscheinungsbild, seine Wirkung wird es vor allem im öffentlichen Raum entfalten. Wie findet ihr das Design? Bei Presse und Sponsoren gab es viel Lob. Gelungen? Nervig? Ansprechend? Langweilig? Schreibt es uns!

  • Ein Hurra mit Hindernissen – fill in verlegt!

    Ein Hurra mit Hindernissen – fill in verlegt!

    Die Nachricht verbreitete sich am Dienstagabend wie ein Lauffeuer über Social Media: fill in wird nicht wie geplant im Deutsch-Französischen Garten als Open-Air-Festival stattfinden, sondern in das E-Werk verlegt. Der Grund dafür ist so simpel wie unglaublich: Unsere Wiese in der Südmulde ist zu nass. Es wäre unmöglich gewesen, am Dienstag vor dem Festival mit dem Bühnenaufbau zu beginnen, weil die tonnenschwere Bühne mehrere Zentimeter abgesackt wäre. Damit wäre die Bühne nicht mehr standsicher und die Sicherheit der Künstler:innen, des Bühnenpersonals und der Besucher:innen wäre nicht mehr zu gewährleisten. Und ja, die Wiese sieht toll und auch trocken aus, aber sie ist es nicht.

    In einem Sitzungs- und Beratungsmarathon von mehreren Stunden haben wir alles probiert und haben mit Veranstaltungs- und Bühnentechnikern beraten, was wir machen können. Insbesondere haben wir versucht, im DFG eine Ersatzwiese zu finden. Das war nicht möglich, weil die anderen Wiesen entweder genauso nass waren oder zu klein, sodass die Bühne dort nicht gepasst hätte. Ein Abtrocknen wäre in kürzester Zeit auch nicht möglich, denn unter der Bühne hätten Stahlplatten liegen müssen, die ein Abtrocknen verhindert hätten. So mussten wir wirklich schweren Herzens am Montagabend den Entschluss fassen, in das E-Werk zu ziehen, dass uns unser Partner GIU zur Verfügung stellen konnte. 

    Auch die Anfangszeiten der Konzerte mussten verlegt werden, da die komplexe Logistik der Künstler:innen einen früheren Beginn kaum möglich macht. Untergebracht sind die Künstler im Victor’s Residenz-Hotel am DFG, sie müssen aber mehrfach durch die Stadt zum E-Werk. Außerdem steht zu befürchten, dass einige Besucher:innen doch im DFG landen, wo sie von Helfern Hinweise zur Verlegung bekommen. Auch sie sollen rechtzeitig zum Konzertbeginn im E-Werk auf den Saarterrassen sein können.

    Ein Open-Air-Festival zu stemmen, bedeutet in Zeiten des Klimawandels immer auch, dass man mit solchen Verlegungen aufgrund der Witterungsbedingungen rechnen muss. Wir haben uns die Entscheidung alles andere als leicht gemacht, es blieb uns aber keine andere Wahl. Seit heute morgen arbeiten wir im E-Werk und es ist wirklich ein schöner Ort für gute Musik. Wir werden versuchen, euch ein wunderbares Festivalflair zu zaubern, damit ihr den DFG nicht allzu sehr vermisst. Hurra, es ist trotzdem Festival! Und für alle Frischluftfanatiker empfehlen wir das Wochenende vom 9. bis zum 11. August 2024, da sind wir mit Weltklassejazz auf der Vaubaninsel in Saarlouis.

  • Üppiger Bläsersound trifft auf einzigartige Stimme

    Üppiger Bläsersound trifft auf einzigartige Stimme

    Es wird ein Gigantentreffen und einer der Höhepunkte des Festivals. Am Sonntagabend werden das Brussels Jaz Orchestra und die französische Jazzsängerin Camille Bertault gemeinsam Chansons von Serge Gainsbourg interpretieren. 

    Das Brussels Jazz Orchestra (BJO) lädt immer wieder Solokünstler ein, mit ihm gemeinsam zu musizieren. Gegründet wurde es 1993 von Frnak Vaganée, der es bis heute leitet, und Serge Plume, Marc Godfroid und Bo van der Werf. Jazzorchester klingt immer ein bisschen nach Swing-Bigband. Da rümpfen viele Jazzfans eher die Nase. Warum, weiß ich auch nicht so genau, vielleicht liegt es daran, dass der Swing die erste Mainstream-Stilrichtung des Jazz war und noch dazu kommerziell erfolgreich. Oder aber, dass mit dem Swing der Jazz „weiß“ wurde. Zwar wurde auch diese Jazzrichtung von Afroamerikanern erfunden, doch es waren vor allem Weiße, die ihn spielten. Auch das mag eine Rolle spielen, dass der Swing bis heute unter Jazzfans eher eine untergeordnete Rolle spielt. Man stellt sich dann immer die Salons der 1920er Jahre in Berlin vor, wo die finanzielle und künstlerische Elite des Landes in ausschweifenden Partys gegen den Untergang antanzt.

    Davon ist das BJO allerdings weit entfernt.  Das Orchester lädt sich immer wieder Gaststars ein, mit denen es eigenen Kompositionen oder arrangierte Songs von anderen Künstler:innen spielt. Das führt zu großer Vielfalt und einem tollen Mix aus dem voluminösen Sound einer Jazz-Bigband mit üppigem Bläserensemble und den Einflüssen von Musik aus aller Welt. Mit David Linx nahm man ein Brel-Album auf, mit der südafrikanischen Sängerin Tutu Puoane gleich zwei Alben und „Smooth Shake“ mit Bert Joris ist einfach ein tolles Album, weil Smooth Jazz hier nicht zur Fahrstuhlmusik verkommt. Eine meiner Lieblingsplatten des BJO ist „Ten Years Ago“ mit Star-Akkordeonist Richard Gaillano. 

    Ich bin aber nicht sicher, ob es meine Lieblingsplatte bleibt, denn nun hat das BJO ein Album mit Camille Bertault aufgenommen. Gewidmet ist es den Songs von Serge Gainsbourg. Mit der Französin hat man eine Jazzvokalistin ausgewählt, die in Frankreich ein aufstrebender Star ist und dort hochgehandelt wird. Kein Wunder, denn ihre Stimme ist grandios, ihre Alben durchweg ein Ohrenschmaus. Das Jazzmagazin Downbeat lobt sie als „intelligente Stimmgymnastin“ und das trifft es ziemlich gut, weil Bertault mit ihrer Stimme nichts mühsam erscheint, ihre Phrasierung ist so sinnlich und perfekt, dass man sich sofort in ihre Stimme verliebt. 

    Nichtsdestotrotz ist es ein Experiment und ein Wagnis, sich an Gainsbourg zu trauen, den Nationalheiligen des Chansons in Frankreich. Kann es gut gehen, wenn eine fröhliche und selbstbewusste junge Frau den Weltschmerz und die Selbstzweifel von Gainsbourg interpretiert? Um es vorwegzunehmen: die musikalischen Arrangements der Orchestermitglieder sind großartig umgesetzt und hier zeigt sich die ganze Klasse der Bigband. 

    Zurück zu Camille Bertault. Sie entpuppt sich als perfekte Besetzung für den Gesangspart, weil sie so viel Liebe in die Interpretation der Songs legt und ihre Stimme einfach perfekt passt. Mal lasziv hauchend, dann wieder aggressiv fordernd, dann heiter oder melancholisch, stolpert sie hastig vorwärts, hält inne und schlägt gesangliche Kapriolen. Sie setzt die Texte emotional einfach genial um. Und so sing sie Evergreens wie „Couleur Café“ und „La Javanaise“, aber auch unbekanntere Stücke wie Elisa aus Jacques Rouffios erstem Film „Der Horizont“ (L’horizon) aus dem Jahr 1967. Gerade dieses Stück ist so brillant umgesetzt, dass es das Original übertrifft.

    So macht es Spaß, zu „Le Poinçoneur des Lilas“ mitzupfeifen, zu „Je suis venu te dire que je m’en vai“ zu wippen oder bei „La javanaise“ mitzusingen, wenn Bertault haucht: Ne vous déplaise/En dansant la Javanaise/Nous nous aimions/Le temps d’une/Chanson/… Ich bin sicher, die Liebe zur Musik des Brussels Jazz Orchestra und Camille Bertault dauert länger als ein Lied!

  • Frech, jung, selbstbewusst

    Frech, jung, selbstbewusst

    Es klingt ein bisschen wie ein modernes Influencer-Märchen. Die junge Jazz-Schlagzeugerin sieht ein Video eines Freundes, der eine Aufnahme von Kontrabassist und Jazzlegende Avishai Cohen mit seinem Pianospiel unterlegte. Ihr gefiel die Idee, sie nahm eine Session mit ihrem Schlagzeug auf, postete das Video auf Instagram und schickte es Cohen. Und der war begeistert! Er rief Kaspi an und bat sie zu einer Session in sein Studio. Die Zwei hatten offensichtlich Spaß, denn danach fragte Cohen, ob sie bei der Aufnahme seines neuen Albums dabei sein möge und nach dem ersten Konzert fragte der Bassist, ob sie seine Schlagzeugerin werden wolle. Kaspi sagte begeistert zu.

    Die Karriere der jungen Israelin begann im Alter von sieben Jahren, als sie im Musikzimmer ihrer Schule das Schlagzeug entdeckte und darauf herumtrommelte. Ihre musikverliebten Eltern freuten sich über das geweckte Interesse der Tochter und finanzierten ihr Schlagzeugunterricht.

    Zum Jazz kam sie eher zufällig. Sie besuchte die „Thelma Yellin Arts High School“ in ihrer Heimatstadt und musste sich irgendwann entscheiden, ob sie den Klassik- oder den Jazz-Zweig absolvieren wollen würde. Anschließend absolvierte sie ein Studium an der renommierten Berklee College of Music in Boston.

    Nun spielt Kaspi seit drei Jahren bei Avishai Cohen, verfolgt seit einigen Monaten aber auch ein eigenes Projekt. Das erste Resultat war die Singe „Why does“ aus dem vergangenen Jahr, inzwischen hat sie auch die EP „Poni“ veröffentlicht.

    Kaspis Musik ist deutlich beeinflusst von der jungen Generation in Israel und den kulturellen Einflüssen dort, das spiegeln nicht nur die Themen ihrer Songs, sondern auch die Musik selbst. Pop, Fusion, Elektro, Hiphop, Jazz – Kaspi bedienst sich frei und ungezwungen in den Genres und kreiert einen eigenen Sound.

    „Frech, jung, selbstbewusst“ könnte man ihre Texte umschrieben.Die Themen sind vielfältig, es geht um Identität, Geschlecht, Beziehung und Gefühle, verwoben mit Beats und elektrischen Vibes. Richtig gut wird es, wenn Kaspi live spielt, weil die Drum-Computer-Effekte dem Original weichen und das Schlagzeugset unter Kaspi zum emotionalen Ausdruck der besungenen Gefühle wird. Ihr Spiel zeichnet sich durch hohen Facettenreichtum aus, moderne Beats treffen auf die Komplexität von Jazz, Kaspis Spielfreude mündet in zahlreichen Improvisationen. Gerade live ist das ein Hochgenuss!

  • Ein unvergesslicher Abend

    Ein unvergesslicher Abend

    Ich habe Alfredo Rodríguez vor einigen Jahren eher zufällig entdeckt. Immer mal wollte ich zum Jazzfestival im französischen Junas, weil ich viel Gutes gehört hatte. Mitte Juli 2017 war ich in der Region, hatte eher zufällig einen Tag Zeit und wollte unbedingt eines der Konzerte besuchen. 

    Das Festival ist nicht groß, hat aber jedes Jahr ein tolles Line-Up und ein ganz besonderes Flair, weil die Abendkonzerte bei Sonnenuntergang in einem Steinbruch stattfinden. Ich hatte von Rodríguez schon gehört, hatte ihn aber nicht auf dem Schirm. Pianist? Kubaner? Klang alles gut und die YouTube-Videos machten Lust auf mehr. 

    Der Abend begann sanft. Während des Sonnenuntergangs eröffnete Rodríguez am Flügel mit einem verträumt-ruhigen Sequenz – passend zur Abendstimmung. Ich war sofort gefangen genommen von der Intensität des Spiels und der Spielfreude, die Rodríguez zeigte. Er schien allein zu sein und wir als Publikum durften ihm beim Jammen durchs Schlüsselloch zuschauen.

    Nach rund zwei Minuten hielt der Pianist eine Sekunde inne und vollzog dann einen Tempowechsel, dass einem der Atem stockte. Der Kontrabass (Reinier Elizarde) setzte ein, dann das Schlagzeug (ich glaube, es war Michael Olivera) und Rodriguez drosch förmlich auf das Klavier ein und schwenkte auf einen heißen afrokubanischen Sound um. Die drei Musiker hatten auf der Bühne richtig Spaß und das Publikum war sofort hingerissen. Es war ein traumhafter Abend mit drei grandiosen Musikern.

    Rodríguez‘ Biografie beginnt meist mit dem Jazz Festival in Montreux. Im Jahr 2006 nahm er dort am Wettbewerb teil, wo Quincy Jones au f ihn aufmerksam wurde. Seine Karriere begann aber schon viel früher und sein Talent wurde ihm in die Wiege gelegt. Der Vater war Sänger und Komponist, Rodríguez studierte klassisches Klavier an Konservatorien in Havanna, die alle einen ausgezeichneten Ruf haben. In dieser Zeit wurde auch sein Interesse am Jazz geweckt. 

    Die „Entdeckung“ von Jones machte für den jungen Künstler vieles leichter, denn Jones produzierte die ersten Alben von Rodríguez. Schon mit „Sounds of Space“ machte der Pianist klar, welches Talent in ihm steckte. Erstaunlich reif ist das Werk. Mit scheinbarer Leichtigkeit mischte Rodríguez komplexe Rhythmen von Jazz und Klassik mit Einflüssen seiner Heimat und Lateinamerikas. Dabei ist er sehr einfallsreich und stilistisch vielfältig. Heiter-beschwingt, nachdenklich-melancholisch, leise und ganz laut. Auf jeder Platte ist ein Lied jazzig „gecovert“, ein Popsong wie „Thriller“, ein kubanisches Volkslied wie „Ay Mama Ines“ oder ein Jazzstandard wie „Bésame mucho“.

    In seinem neuen Album „Coral Way“ erfindet sich der Kubaner nicht neu, es ist eine behutsame Weiterentwicklung seines Stils. Da ist das heitere „Coral Way“, das von Rodríguez‘ Spiel auf dem Synthesizer lebt, dann etwa „Fidju du Lua“, mit der fabelhaften Alana Sinkëy, das Bilder von Kuba wachruft, oder das verträumte „Distant Memories“. Und Rodríguez bleibt seiner Idee treu: er nimmt „Für Elise“ von Beethoven in einer jazzigen Version auf, die zum Mitschnippen einlädt. Das funktioniert sogar! 

    Alfredo Rodríguez wird bei fill in am Samstag, 29. Juni 2024 um 20 Uhr auftreten und es wird ein toller Sommerabend – da bin ich sicher!  

  • Traumhaft schöne Songs

    Traumhaft schöne Songs

    Den Samstagabend des Festivalwochenendes eröffnet ein Shootingstar des europäischen Jazz. Ab 18 Uhr präsentiert Zara McFarlane ihr neues Album „Sweet Whispers: Celebrating Sarah Vaughan“ und ehrt damit eine der großen Jazzsängerinnen des 20. Jahrhunderts, die am 27. März 2024 ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte.

    McFarlane kam 1983 als Tochter jamaikanisch-stämmiger Eltern in London zur Welt. Mit acht Jahren begann sie das Klavierspiel, im Alter von elf Jahren schrieb sie erste Songs und nahm an Wettbewerben teil. Sie ist eine Spätberufene, denn ihre Liebe zum Jazz entdeckte sie erst während ihre Master-Studienganges an der Guildhall School of Music and Drama. Sie arbeitete in der Folge mit Größen wie Denys Baptiste, Nicola Conte, Soweto Kinch und Gary Crosbys Jazz Jamaica. Ihre Debüt-EP nahm sie noch selbst auf und landete damit keinen großen Hit. 

    Doch sie traf auf Gilles Peterson, der ihr Talent erkannte und sie bei seinem Label „Brownswood“ unter Vertrag nahm. Mit ihm nahm sie ihr erstes Album „Until Tomorrow“ auf, das im Herbst 2011 erschien. Das Album vereint Jazz- und Soul-Songs, die ganz bestimmt werden von McFarlanes klarer und heller Stimme. Über Nacht schien McFarlane ihre Bestimmung gefunden zu haben und wurde zur Jazz-Vokalistin, die scheinbar mühelos jede noch so schwierige Passage, der nicht ganz einfachen Stücke, meistert. 

    Ihr zweites Album „If You Knew Her“ wurde 2014 ebenfalls bei Brownswood veröffentlicht und erhielt den MOBO-Award als „bester Jazz-Act“. Neben im Modern Jazz angehauchten Jazz-Stücken sind erste jamaikanische Elemente vorhanden und fügen ihrem Repertoire eine neue Note hinzu. Mit „Arise“ im Jahr 2017 präsentierte sie ihr drittes Album, das afrokubanische Rhythmen aufnahm und sich ernsten Themen widmete. Ihr großes Glück: Petersen und Brownwood ließen sie ihren Weg gehen und mit Sounds experimentieren. 

    Mit dem Album „Songs of an unknown Tongue“ ging sie den eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Afrikanische, jamaikanische und afrokubanische Elemente vereinnahmt sie in den Songs, die Themen sind aber ernster als in den ersten Alben. Es geht um Identität, um das britische Erbe des Kolonialismus, und darum, als schwarze Frau in einer von Weißen dominierten Gesellschaft zu leben. Es ist eine Abrechnung mit dem Empire, die aber nicht in Verbitterung endet, sondern Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht.  

    Mit „Sweet Whispers: Celebrating Sarah Vaughan“ kehrt Zara McFarlane zum klassischen Jazz zurück. Sarah Vaughans Songs wurden etwas moderner arrangiert, der eingriff ist aber so zart, sodass man das Original sofort erkennt, aber der Staub vergangener Zeiten wie weggeblasen scheint. McFarlanes Stimme hat eine ganz andere Stimmfarbe als Vaughans, aber ihre klare Stimme passt einfach wunderbar zu den Songs und sie singt wirklich traumhaft schön, spielt mit ihrer Stimme und setzt sie wie ein Instrument ein. Es ist ein bisschen so, als sei die „gute alte Zeit“ wiederauferstanden. Produziert hat das Album Giacomo Smith (selbst Klarinettist und Leiter der legendären Kansas Smitty House Band) und das hört man auch… 

    McFarlane gelingt ein ganz eigenes Album, das nicht bloßer Abklatsch und auch kein Best of Vaughan ist. Die Sängerin hat die Songs gezielt aus den mehr als vierzig Jahren von Vaughans Schaffen ausgewählt. Es ist ein grandioses und ein sehr persönliches Album geworden und berührendes dazu. Das Konzert im DFG wird ein magischer Abend.