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  • Die Kings of Strings

    Die Kings of Strings

    Als Mitte der 1990er-Jahre die Weltmusik im Mainstream abseits der Esoterik ankam, war ich immer dann besonders fasziniert, wenn sich Jazz mit Elementen der Weltmusik, also eher traditioneller folkloristischer Musik, mischte. Angetan hatte es mir vor allem der Klezmer, zu dem ich den saarländischen Klarinettisten Helmut Eisel kam. Diese Lebensfreude, die sich auch in den dunkelsten Zeiten nicht vertreiben ließ, fand ich faszinierend.

    Neben afrikanischer Weltmusik bin ich auch beim Gypsy-Jazz hängen geblieben. Django Reinhardt, aber auch Opa Tsupa, Schnuckenack Reinhardt, Biréli Lagrène oder Prinzo Winterstein gehörten für mich zu den Großen.

    Für mich war das immer eine Mischung aus beschwingter Sinti/Roma-Folklore mit starken Anteilen an Improvisation. Erst sehr viel später habe ich begriffen, dass das nicht einfach eine zusammengeklöppelte Mischung ist, sondern dass die Ferret-Brüder Baro, Sarane und Matelo und Django Reinhardt Ende der 1920er-Jahre begannen, mit den Gitarren im Mittelpunkt die traditionelle Musik der Sinti mit swingenden Valse-Musette-Klängen zu verbinden und über gebrochene Akkorde improvisierten und damit den ersten europäischen Jazzstil schufen.

    Bis heute ist diese kulturelle Leistung kaum be- und noch viel weniger anerkannt. Im Mittelpunkt immer die Gitarren, häufig ergänzt um Violine und/oder Kontrabass. Dabei übernimmt eine Gitarre meist den Lead und die Melodie, während die andere den Rhythmus bestimmt, das wechselt aber auch in atemberaubender Geschwindigkeit. Lead- und Rhythmusgitarre wechseln wild hin zu zurück, dazwischen wird scheinbar wild improvisiert. Richtig bunt wird es, wenn mehrere Gitarren dabei sind und man als Zuhörer schwindlig gespielt wird. Ruhig sitzen zu bleiben, ist dann selbst für mich als bekennendem Nichttänzer schwierig.

    Eine nicht unwesentliche Rolle bei der Entwicklung spielten die Manouches – bis heute hält sich der Terminus „Jazz Manouche“ insbesondere im französischsprachigen Raum. „Manouche(s)“ ist die Bezeichnung für die Sinti aus der heutigen Region Grand Est, die vor allem aus dem Elsass stammen.

    Zu den großen Dynastien dieses Genres gehört zweifellos die Familie Rosenberg. Zu den Begründern muss man sicher Latcheben Grünholz, dem Großvater der gerade aktuellen Generation um Stochelo und seinen Bruder Mozes, zählen, aber auch deren Cousins Jimmy und Romane Rosenberg sowie die Neffen Nous’che und Nonnie Rosenberg. Auch der Onkel Waso Grünholz war ein herausragender Musiker, genauso wie der Vater Mimer.

    Bedeutendster Musiker in der Familie ist aber zweifellos Stochelo, der insbesondere mit dem Rosenberg Trio (Nous’che [Gitarre] und Nonnie Rosenberg [Kontrabass]) zur Weltspitze des Gypsy-Jazz gehört. Mehr als 20 Alben haben die drei Musiker veröffentlicht, auf zahlreichen Jazzfestivals weltweit waren sie zu Gast. Imme wieder gesellten sich andere Mitglieder der Familie mit auf der Bühne, in wechselnden Konstellationen haben die Musiker die Bühne für Begeisterungsstürme gesorgt. Zuletzt gehörten neben Stochelo sein Bruder Mozes und der Gitarrist Paulus Schäfer zum Trio.

    Eines der Live-Alben von Stochelo trägt den vielsagenden Titel „Kings of Strings“ (mit Tommy Emmanuel und Vlatko Stefanovski) und tatsächlich trifft es das ganz gut. Kaum jemand spielt so virtuos Gitarre wie er und nicht umsonst zählt Rosenberg zu den besten Gitarristen weltweit. Imme wieder sprengt Stochelo auch Grenzen, nähert sich mal dem Chanson an (wie im legendären Album Serestra Double deluxe), wagt wilde Ritte durch alle Genres (wie im Album „Tribulations“ mit Romane Rosenberg) oder ist ganz nah am Jazz US-amerikanischer Prägung, wie im Album „Double Jeu“.

    Nun wagt Stochelo mit seinem jüngeren Bruder Mozes erneut neue Wege. Die beiden waren Teil eines Filmprojekts von Carmen Chaplin, einer Enkelin von Charlie Chaplin. Lange war es nur eine Vermutung, doch Carmen weist in ihrem Dokumentarfilm aus dem Jahr 2024 nach, dass Charlie Chaplin Sinti-Vorfahren hatte. Chaplin war, das zeigen handschriftliche Notizen, sich dieser Tatsache sehr bewusst und hielt sie doch geheim. Der Film beleuchtet den Einfluss der Sinti-Kultur auf Chaplins Werk, insbesondere auch auf seine Musik, denn Chaplin komponierte die Musik für seine Filme häufig selbst, erhielt dafür sogar 1973 mit Raymond Rasch und Larry Russell einen Oscar.

    Bei fill in stellen Stochelo und Mozes Rosenberg erstmals gemeinsam mit Kontrabassist Matheus Nicolaiewsky ihr neues Album „Stochelo & Mozes Rosenberg play Charlie Chaplin“ vor, dass Chaplins Musik aufgreift und ganz persönlich interpretiert. Eine Hommage an Chaplin und seine Musik. Und eine Weltpremiere!

  • Zwischen Orient und Okzident

    Zwischen Orient und Okzident

    Dhafer Youssefs Tour alleine in diesem Jahr spricht Bände: Er ist beim Jazzfest in Budapest, bei Jazz à Vienne, besucht das La Défense Jazz Festival in Paris, spielt beim beim Montreal Jazz Festival, beim Festival Arabesques und natürlich bei fill in – International Jazz Festival Saar.

    Ich habe Dhafer Youssef erstmals mit seiner zweiten Platte „Electric Sufi“ wahrgenommen. Als jemand mit türkischem Migrationshintergrund erkenne ich natürlich sofort das Instrument, dass Yousef spielt, auch wenn es in der türkischen Musik kaum vorkommt. Die arabische Oud ist eine Kurzhalslaute, die Saz (in der Türkei häufig die mittellange Bağlama) eine Langhalslaute.

    Auch wenn beide unterschiedlich klingen und auch anders gespielt werden, sind sie sich nicht unähnlich. Die Oud klingt aber weicher und mit ihr lässt sich auch besser improvisieren. Während die Saz mit einem Plektrum gespielt wird, lässt sich die Oud mit Plektrum und Fingern spielen, was das Spektrum der Möglichkeiten erweitert.

    Als „Electric Sufi“ 2001 erschien, war ich gerade ein bisschen von der reinen Lehre des Jazz abgekommen und schaute mich stark in der Weltmusik um. Am liebsten dort, wo Jazz und Weltmusik sich überschnitten, etwa Musiker wie Nguyên Lê, Abdullah Ibrahim, natürlich der Buena Vista Social Club und viele afrikanischstämmige Musiker , die unbekümmert Jazz, Pop und Folkloristisches mischten. So musste man zwangsläufig irgendwann auch über den Namen Dhafer Youssef stolpern.

    „Electric Sufi“ war so anders als alles, was ich bisher kannte. Da war ein Musiker, der sich um Genre und musikalische Grenzen nicht scherte. Fröhlich kombinierte Youssef die Oud mit elektronischen Klängen des Synthesizers, Kontrabass, indischer Perkussion, europäischem und US-amerikanischem Jazz und kreierte etwas komplett Neues. Orientalische Sufi-Musik trifft auf Jazz, Rock, Elektro, Klassik und arabischer und indische Musik. Es entstand eine Musik, die den Zuhörer wie auf einem Teppich davon trägt in moderne arabische Städte, nach New York, nach Neu-Delhi, in die Wüsten des Nahen Ostens und in die Medina von Tunis.

    Bei Youssef hatte man erstmals das Gefühl, es gibt so etwas wie einen arabischen Jazz und er war für dieses Genre tatsächlich ein ähnlicher Vorreiter wie Jan Garbarek Jahre zuvor für den nordischen Jazz. Mit dem Album „Birds Requiem“ nimmt er die ätherisch wabernden Sounds auf, für die Garbarek so bekannt wurde, und würzte sie mit einer Prise Orient.

    Youssef ist aber nicht nur ein außergewöhnlicher Oud-Spieler, er nutzt seine mehrere Oktaven umfassende Stimme als Instrument und mischt in westliche Jazz-Klänge den typischen arabischen Gesang, den man sofort erkennt. Was sich wie Sprache anhört, ist meist nur ein Aneinanderreihen von Tonsilben, die ineinanderfließen. Das hinterlässt eine sehr ruhige, fast kontemplative Stimmung, die den Zuhörer in eine Welt von Tausendundeiner Nacht entführt. Aber Youssef singt auch arabische Texte.

    Wenn man dem Tunesier eines nicht vorwerfen kann, dann dass er langweilig ist. In den letzten beiden Jahrzehnten bewies er, wie viel Kraft in ihm und seiner Musik steckt. Obwohl Youssef seinem einmal entwickelten Stil treu geblieben ist, hat er sich konsequent weiterentwickelt.

    Mit dem aktuellen Album „Street of Minarets“ geht der Jazzmusiker den eingeschlagenen Weg weiter, integriert aber etwas stärker einen westlichen Jazz-Sound. Das wird schon im titelgebenden „Street of Minarets“ offensichtlich: Unter seinen arabischen Gesang legt Youssef einen modernen Jazzklangteppich. Auch in „Funk Sharq“, „Sudra Funk“ oder „Herbie’s Dance“ stehen die Jazzsounds gleichberechtigt neben Oud und arabischem Gesang.

    Warum das so ist, verrät die Entstehungsgeschichte der Platte. Der in Frankreich lebende Künstler lud mehrere Kollegen ein, mit ihm gemeinsam Musik zu machen. erst Mals feststand, wer dabei sein würde, komponierte Youssef. Herbie Hancock, Rakesh Chaurasia, Ambrose Akinmusire, Nguyên Lê, Dave Holland, Adriano Tenorio und Vinnie Colaiuta sind mit dabei. Insbesondere Hancock, Lê und Holland dürften vielen etwas sagen, zählen sie doch schon lange zu den Weltstars des Jazz.

    Auch Chaurasia ist kein unbekannter. Der indische Flötist ist kein Jazzmusiker, gehört aber zu den ganz großen der indischen Musik. Der US-amerikanische Jazztrompeter Akinmusire schwingt sich gerade zu den Großen auf. Seine Alben werden vom Jazzmagazin Downbeat fast immer mit den selten vergebenen fünf Sternen bewertet. Adriano Tenorio kenne zwar nur eingefleischte Jazzfans, die verehren den Schlagzeuger für seine Spielfreude und Improvisationskraft dafür umso mehr. Seinen Schlagzeugkollegen Vinnie Colaiuta dürften dann wieder viele kennen, weil er mit allen großen Musiker:innen auf der Bühne stand: mit Leonhard Cohen und Frank Zappa, Herbie Hancock und Chick Corea, Sting und Billie Evans.

    Entstanden ist ein Album, das einfach nur Spaß macht. Man merkt, dass die Musiker im Studio wirklich mit Lust und Laune gearbeitet haben. Andächtig lauscht man den sphärischen Klängen von „Flying Derwish Outro“, wippt bei „Spinning Hermit“ mit und bekommt mit „Bal D’âme“ feinsten Pianojazz von Hancock mit der Begleitung von Youssef an der Oud. Ein Dialog zweier großer Musiker. Ich freu‘ mich. Der Abend mit Dhafer Youssef wird ein rauschendes Jazzfest werden!

  • fill in AVENUE kommt

    fill in AVENUE kommt

    Es ist Mitte April, nicht mehr lange also, bis die fill in AVENUE startet und damit auch die Festivalsaison 2025. Auf die Idee kamen wir Anfang 2024. Wir wollten etwas Besonderes und Anderes machen. Neben dem klassischen Festival wollten wir eine Veranstaltung etablieren, die Menschen für den Jazz begeistern sollte und sie zum Festival lockt, auch wenn sie vielleicht keine klassischen Jazzhörer sind.

    Gemeinsam mit der GIU kamen wir auf die Idee, in der Gasse vor der alten Buswerkstatt in Quartier Eurobahnhof ein großes Straßenfest zu feiern. Ein Wagnis für uns. Wir mussten trotz Partnerschaft mit der GIU einiges finanzieren. Wir wollten alle Konzerte kostenlos halten, um möglichst vielen Menschen neugierig zu machen. Gleichzeit war Musik alleine nicht genug. Also haben wir Street-Food-Stände angesprochen, ein Kinderprogramm organisiert und mit Händlern geredet, ob sie nicht bei uns verkaufen wollen.

    Und wir waren selbst verblüfft: An einem Freitagabend im April feierten mehr als 4600 Menschen mit uns. Das Echo war großartig und die Begeisterung auf allen Seiten spürbar. Unser Produktionsleiter Paul Strohbach und unser Designer Tobias Turco hatten ganze Arbeit geleistet und ein tolles Flair kreiert. Dazu die Bajou Brass band, sich sich mehrfach musizierend durch die Straßen bewegte, die Band Problembär und die DJs hatten für gute Stimmung gesorgt. Dazu Malen, Schminken, ein Zauberer – ein tolles Kinderprogramm sorgte auch für fröhliche Stimmung bei den kleinen Besucher:innen.

    Richtig voll war die Hütte, als die Stars des 1. FC Saarbrücken zur Signierstunde kamen und auch für Fotos zur Verfügung standen. An einer Torwand könnt man Lose gewinnen, die in einen Topf wanderten. Zu gewinnen gab es Businesstickets, Festivalkarten und Trostpreise wie Popcorn. Der Erlös ging an das Projekt Regenbogen der Saarländischen Krebsgesellschaft.

    Der Aufwand und die Kosten für fill in AVENUE sind hoch, warum also nicht zwei Tage, wenn eh schon alles steht? Das war der erste Gedanke nach dem Ende der AVENUE und wir hatten wieder Glück – die GIU als Finanzpartner wollte das auch!

    Nun also an zwei Tagen. Los geht es freitags um 16 Uhr. Wie im letzen Jahr werden einige Stars des 1. FC Saarbrücken anwesend sein, In diesem Jahr erstmals dabei ist das Fanmobil des 1. FCS und wird ein paar Stunden halt machen. Und auch die Torwand ist wieder vor Ort. Bemalt wird sie von Kindern der Grundschule Am Ordensgut.

    In diesem Jahr wieder mit dabei ist „Problembär“, die feinsten „Groovekrach“ spielen, wie sie ihre Musik selbst nennen. Es ist eine Mischung aus Jazz, Punk, Funk und Soul. Vorher wird Franz Becker & Friends für entspannte Stimmung sorgen mit Smooth Jazz und Blues.

    Am Samstag geht es ab 11 Uhr mit einem Familientag weiter, am Nachmittag steht fill in AVENUE dann ganz im Zeichen des Lindy Hop. Der Tanzstil entstand Ende der 1920er-Jahre in den großen Ballsälen New Yorks zeitgleich mit dem Aufschwung des Swing der großen Big Bands, welche die Jazzmusik ­ orchestral weiterentwickelten. Unabhängig von Gesellschaftsschicht und Hautfarbe wurde im Savoy Ballroom und dem Cotton Club getanzt und das Leben gefeiert.

    Gemeinsam mit Lindy Hop Saarbrücken lädt fill in nicht nur zum Social Dance mit Live-Musik ein, es wird Vorführungen mit Choreografien geben, Flashmobs und einen Schnupperkurs für Anfänger. Die Musik kommt von der fünfköpfigen Swingband „Gramophoniacs“. Ein Leckerbissen auch für Nichttänzer:innen!

    Beide Abende beschließen übrigen DJs. Am ersten Abend legt Dj Liliom auf, am zweiten DJ Metty. Liliom spielt einen Gute-Laune-Mix, Metty, eigentlich Matthias von Humpty Records, wird vor allem Jazz auf den Plattenteller bringen.

    Dazu gibt es natürlich allerhand Leckereien, außerdem Marktstände, die Kunst, Kunsthandwerk, Schallplatten, Schmuck und Mode anbieten. Und auch für die Kleinen wird es wieder eine Menge zum Schauen und Ausprobieren geben.

  • Geheimtipp? Charlotte Planchou!

    Geheimtipp? Charlotte Planchou!

    Als unser künstlerische Leiter Oliver Strauch in Vorbereitung auf das Festival in diesem Jahr im November oder Dezember 2024 erstmals den Namen Charlotte Planchou als Musikern für die kommende Ausgabe erwähnte, konnte ich nur mit den Schultern zucken. Charlotte wer? Ich hab natürlich gegoogelt und schnell fest gestellt, dass ich da eine deutliche Lücke in meinem Leben als Jazz-Aficionado habe. Das mag daran liegen, dass ich stark im Modern Jazz verhaftet bin und den traditionellen Stilrichtungen der 1950er- und 1960er-Jahre. Sich hier auszukennen Bedarf schon einiges an Hören, Sehen und Lesen. Nimmt man zeitgenössische Jazzmusiker hinzu, die in dieser Tradition stehen, dann wird es noch viel unübersichtlicher. Zum anderen mag es darin begründet sein, das selbst bei den großen französischen Festivals der französische Jazz in den letzten Jahren und Jahrzehnten vor allem von afrikanischen Jazzern beherrscht wird und ich mich dort einfach inzwischen sehr zuhause fühle, weil es meinem Lebensgefühl entspricht. Ein Fehler, wie ich nun freimütig gestehen muss.

    Doch auch wenn Planchou in Deutschland noch weitgehend unbekannt ist, ist sie in Frankreich längst ein Star oder zumindest auf dem Weg dahin. Im vergangenen Jahr wurde sie vom französischen Jazz Magazine zur „Sängerin des Jahres“ gekürt. Gerade erst hat ihr die Académie du Jazz bei den Palmarès-Verleihungen den „Prix Evidence“ verliehen. In den Kommentarspalten bei Social Media wird sie in den höchsten Tönen gelobt, gar als Genie gefeiert. Wer also ist Charlotte Planchou?

    Und wieder war ich erstaunt. Planchou ist Saarländerin. Sie wurde als Tochter einer deutschen und eines Franzosen in Homburg geboren und wuchs dort und in Schmelz auf. Als sie fünf Jahre alt war, zog die Familie nach Paris, wo Planchou auch heute noch lebt. Die Sängerin spricht sehr gut deutsch, auch wenn sie es seit der Kindheit kaum noch spricht. Lustigerweise hört man gelegentlich, dass sie aus dem Saarland kommt, etwa wenn sie „nedd“ statt „nicht“ sagt.

    Planchou studierte Opengesang an der renommierten Haute École de Musique de Lausanne, wandte sich aber nach ihrer Rückkehr bald dem Jazzgesang zu. Wie so oft ist es ein Zufall. Mit einem befreundeten Jazzgitarristen, singt sie auf der Straße. Opernsängerin wollt sie eh nie werden, ihr gefielen einfach die Openstücke und die Art, über den Gesang Geschichte zu erzählen. Doch sie ist hingerissen vom Jazz, der ihr musikalisch mehr Freiheit gibt. Neben wenigen Eigenkompositionen singt sie vor allem Cover. Für sie ist es, so erzählt sie, kein Unterschied, ob sie eigene oder fremde Songs interpretiert, sie möchte erzählen.

    Mit „Petite“ erschien 2021 ihr erstes Album. Die französische Fachpresse überschlug sich mit Lob, Planchou wurde zu Jazzfestivals weltweit eingeladen. Bald gilt die junge Künstlerin als echter Tipp. Mainstreamig, poppig, aber mit ganz viel jazzigen Ecken und Kanten.

    Planchous neue, zweite Platte, heißt „Le Carillon“ (dt. „Glockenspiel“) und geht mutig weiter. Das Album startet mit „Green sleeves“. Langweilig, hat man schon Hunderttausendmal gehört. Ein Schmachtfetzen aus Elisabethanischer Zeit, der wehklagend die Liebe zu einer jungen Dame in grünem Kleid betrauert. Doch weit gefehlt. Bei Planchou hat man fast das Gefühl, das Lied zum ersten Mal zu hören, weil sie es so wunderbar interpretiert, das man selbst an die vergangenen Lieben seines Leben erinnert wird. Und dann ist da noch Mark Prioré, der aktuell zu den besten Jazzpianisten gehört und die Melodie einfach genial umsetzt. Es ist ein Genuss, sein Spiel zu hören.

    Auch im nächsten Stück ist das Piano allgegenwärtig und nicht bloße Begleitung der Stimme. „C’est la vie“ von Benjamin Britten. Sanft und beschwingt singt Planchou über das Leben. Ein echte Leckerbissen ist „A Sant Jan“, das selbst viele Franzosen nicht kennen, obwohl es längst zu den Klassikern des Chanson im Land gehört. Grund dafür dürfte der Gesang in einem okzitanischen Dialekt sein. Das Lied komponierte der provençalische Sänger Jan-Mari Carlotti. Und auch hier muss man wieder betonen, dass Prioré das Werk kongenial umsetzt. Den Flügel nutzt er mehr als Perkussionsinstrument denn als Tasteninstrument und hämmert, klopft und traktiert die Saiten. Planchou singt und spielt Gitarre und macht mit ihrer Stimme, das, was Prioré mit seinem Instrument macht. Sie fordert die Stimmbänder aufs Äußerste und schnalzt und scattet Melodien.

    Und es setzt sich ähnlich fort. „L’Albatros“ von Chansonnier Léo Ferré ist ein opulentes Werk, dass die ganze Qualität von Planchou erst richtig zeigt. Die musikalische Reduzierung des Originals auf das Klavier tut dem Song gut und bringt Planchous unglaubliche Stimme ganz zur Geltung. Es folgt „Die Moritat von Mackie Messer“ von Brecht und Kurt Weill, dann das portugiesische „tin tin por tin tin“, das vor allem durch Joao Gilberto bekannt wurde. Dann liest man „How happy the lover“ und ist erstmal verdutzt. Es gibt ein gleichnamiges barockes Stück aus der Oper „King Arthur“ von Henry Purcell, aber… Doch, das geht. Planchou schafft es, denn Kern der Melodie und den barocken Ton erkennbar zu erhalten und transferiert das Stück doch chansonhaft in das 21. Jahrhundert. Wow! Sehr ungewöhnlich, aber wow!

    Dann wird es wieder beschwingt und heiter. Planchou singt Carole Kings „You’ve got a friend“. Planchou kann auch poppig. Es macht Spaß, ihr zuzuhören und man wippt einfach mit. Mit „Ton Amant de Saint Jean“ gibt es dann wieder einen echten Chanson, eines der großen Stücke von Edith Piaf. Im letzten Song dann eine Rückkehr zu Benjamin Britten, der den englischen Kinderreim „Cuckoo, Cuckoo, what du you do?“ (dt. „Kuckuck, Kuckuck, was tust du?) vertont hat. Ein melancholisch schönes Stück und eine kleine Perle von Britten.

    Den Titel trägt das Album übrigens von den drei kurzen Instrumentalstücken, die das Album beginnen und dann immer wieder als experimentelles Intermezzo einfließen.

    „Le Carillon“ lebt von der gesanglichen Qualität Planchous und dem Können Priorés. Da haben sich wirklich zwei Musiker gefunden, die einfach wunderbar zusammenpassen. Hinzu kommt der Effekt, dass man sich immer wieder darauf gefasst macht, dass man das Lied ja schon kenne und dann wieder überrascht wird, wie eigenständig das Stück interpretiert wurden. Das Album ist wirklich ein großes Stück Jazzmusik, das uns da geschenkt wurde. Es wird spannend, Charlotte Planchou live auf der Bühne zu erleben, denn ihre Bühnenpräsenz ist atemberaubend.

  • Curtis – I love you

    Curtis – I love you

    „Curtis Stigers“ war 1991 eines meiner ersten Alben auf CD. Während die meisten Jazz-Enthusiasten auf Vinylplatten bestanden, siegte bei mir der Nerd in meinem Innersten. Die silbernen Platten versprachen perfekten Sound, waren klein und recht unempfindlich.

    Ich hatte natürlich „I Wonder Why“ gehört und fand den Song super, obwohl es als Mainstream-Ballade eher nicht in mein musikalisches Beuteschema passte. Auch „Your’re all that Matters to me“ war cool. Und bei dem Bläsersounds zu Beginn von „The Man Your’re gonna fall in Love with“ zitterten die Scheiben. Die Songs waren mit viel Blech arrangiert, sehr modern und dazu die rauchig-unverwechselbare Stimme des jungen Curtis Stigers.

    Und der Typ auf dem Cover sah einfach sympathisch aus. Schulterlanges Haar und ein leicht unsicherer Blick, der versucht, Selbstbewusstsein vorzutäuschen.

    Curtis Stigers in dieser Zeit als Schnulzensänger und Pop-Phänomen abzutun, greift aber zu kurz. Auch wenn Stigers vor allem über die Liebe und seine Sorgen damit sang, hatte man nie das Gefühl, das sei irgendwie „drüber“ und triefe vor Schmalz. Vielleicht, weil man ihm einfach abnahm, was er da sang.

    Produziert worden war das Album von dem jungen Glen Ballard, der damals noch recht unbekannt war, später aber Michael Jackson, Alanis Morissette, Anastacia, Aerosmith, Katy Perry und viele weitere Stars betreute. Ballard bewies immer wieder sein Talent, junge Künstler:innen zum Durchbruch zu verhelfen. Auch bei Stigers war Ballard als Toningenieur und Arrangeur dabei.

    Außerdem als Produzent dabei war Danny Kortchmar, den viele als Gitarristen von Carol King und James Taylor kennen. Aber Kortchmar war zu jener Zeit auch schon ein bekannter Produzent, der Neil Young, Billy Joel, Toto und Jon Bon Jovi produzierte. Die beiden Produzenten hatten großen Anteil daran, dass Stigers Platte zum Megaerfolg wurde und sich millionenfach verkaufte.

    Die 1990er-Jahre verschluckten Curtis Stigers – zumindest für mich. Die Alben „Time was“ und „Brighter Days“ waren gut, aber der außergewöhnliche Sound war im Mainstream angekommen und Stigers vom eigenen Erfolg überrannt worden. Die wuchtigen Arrangements zogen nicht mehr so richtig, außerdem erlebte der Techno seine Blütezeit und der Gangsta-Rap der Westcoast war angesagt. Wer cool sein wollte, hörte nicht Curtis Stigers.

    Ich versank derweil endgültig im Jazz, für mich gab es nur den Jazz der 1950er- und 1960er-Jahre, ein bisschen Funk und Soulmusik – alles andere war „Mainstream-Scheiß“. Ich lümmelte im Hades bei günstigen Spaghetti und „geiler“ Musik und verbrachte Nächte in der Gießkanne, die damals legendäre Jazzkonzerte mit Größen des Genres bot. Ein bisschen fühlte man sich wie im Village Vanguard oder dem Birdland in New York. Hier war der Mief der Kohl-Ära weit weg.

    Im Jahr 2002 fiel mir dann Stigers neue CD „Secret Heart“ in die Hände. Ich hab ohne große Erwartungen reingehört und war baff. Das war purer Jazz. Schon mit dem Album „Baby plays around“ hatte Stigers sich deutlich dem Genre zugewandt. Die Blechbläser waren weg, die klassische Jazzcombo mit Piano, Schlagzeug und Kontrabass war an ihre Stelle getreten und die Texte in einen swingenden Sound gehüllt. „Parker’s Mood“ war eine Anspielung auf Charlie Parker und auch der Jazzstandard „Billie’s Bounce“ eine Hommage an den großen Jazzsaxophonisten, der den Song eingespielt hatte. Stigers setzt den Song ganz auf seine Weise um, er spielt mit seiner Stimme im Scat und machte sie zum Instrument. Dazu ein getriebener Sound, Soli der Instrumente, die sich in den Vordergrund spielten und dann wieder zurück in Reih`und Glied treten und Platz machen für Stigers. Wow!

    Den eingeschlagenen Weg ging Stigers konsequent und mutig weiter. In den Charts war er damit nicht mehr vorne, aber man merkt ihm einfach an, dass er sich im Jazz zu Hause fühlte und es ihm und seiner Musik guttat. Er experimentierte viel mit Jazz-Sounds, nahm auch mal lateinamerikanische Rhythmen auf, integrierte Einflüsse aus der New York Jazzszene und probierte Neues. Da durfte dann auch mal eine Hammondorgel Soli spielen und eine Trompete übernahm den Melodiepart, wie etwa in „Lately I let things slide“ auf dem Album „Gentleman“.

    Dann kam Corona und die Welt stand still. Bei vielen Künstlern setzte die Pandemie aber auch kreatives Talent frei. Curtis Stigers wollte Musik machen und er wollte ein Publikum. So lud er regelmäßig auf YouTube in seine Küche ein, gab von dort Konzerte und offenbarte sein Talent als Entertainer. Stigers sang nicht einfach nur, er unterhielt sein Publikum mit Anekdoten. Mit Gitarre und Saxophon coverte er Songs und stellt eigene vor.

    Mit „Songs from my kitchen, Volume 1“ legt Curtis Stigers nun ein Album vor, dass Quintessenz dieser Zeit ist. Ob es ein weiteres geben wird, ist noch nicht klar, aber Stigers selbst sagt: „Ich dachte mir, ich lass die Tür offen.“ Material genug gibt es, die 53 einstündigen Episoden sind voll von grandioser Musik. Und natürlich mit einer jazzigen Version von „I wonder why“.

    Ich muss gestehen, dass ich sehr neugierig auf dieses Konzert bei fill in bin. Ich bin sicher, dass es ein unvergessliches Erlebnis wird. Es ist nicht nur eine Begegnung mit meiner Jugend, das Konzert wird die Intimität der Küchenkonzerte mit der Dynamik eines Live-Jazzkonzerts verbinden. Das kann nur gut werden.

  • Alles Neue macht der März

    Alles Neue macht der März

    Es ist sicher schon aufgefallen, fill in hat ein neues Design. Wir haben unser altes Design geliebt und viel Lob dafür bekommen, aber wir wollten uns weiterentwickeln. Die Vorgabe war klar: weniger verspielt, reduzierter, klarer und es sollte insbesondere in der Werbung auffallen.

    Nach einer Vorauswahl fiel unsere letztendliche Wahl auf die Saarbrücker Designagentur MM, M um Muriel Serf, Martha Bayer und Manuel Wesely. Die drei Designer:innen haben einige Erfahrungen mit dem Design von kulturellen Einrichtungen setzen das Erscheinungsbild des Heidelberger Stückemarkts um und entwickelten die Gestaltung des Theaterfestivals Adelante!

    Sofort fällt der neue Farbton auf. Aus dem hellen, erdigen Orange ist ein warmes, kräftiges Orange geworden. Die Grafik ist zugunsten der Information zurückgetreten, Typographie spielt eine wesentliche Rolle. Da ist einerseits das fette Cooper Black, das sofort ins Auge springt und fill in betont und dann die feine Oracle, die teilweise auch mit „springenden“ Buchstaben eingesetzt wird. Rhythmus und Lebensgefühl des Jazz werden so alleine durch Schrift transportiert.

    Auch die Website wurde umfassend überarbeitet und vereinfacht. Alles hat seinen Platz, es ist übersichtlich und schnell zu finden. Auch hier setzen wir das Orange wieder als starke Farbe ein und nutzen ein Weiß, das ein bisschen ins Elfenbeinfarbene geht. Immer wieder tauchen Kästchen auf, sowohl im Printdesign als auch bei Social Media und auf der Website. Das bringt Struktur und Ordnung in die Improvisation. Auch hier ein Anklang an den Jazz.

    Im neuen Design fehlt der Flamingo. Das Geflügel hat keinen wirklichen Platz und wir waren der Meinung, dass er nicht mehr so recht zum Festival passt. Entstanden war der Flamingo aus dem Ort im ersten Jahr des Festivals. In den Anfangsjahren des Deutsch-Französischen Gartens lebten hier Flamingos. An die sollte auch unser „Wappentier“ erinnern und als Maskottchen für eine positive Identifikation sorgen.

    Immer wieder wurden wir aber auch gefragt, was der Flamingo eigentlich mit dem Festival zu tun hat und mit dem Umzug ins E-WERK war auch nicht mehr wirklich erklärbar, warum da ein Flamingo über die Plakate flattert.

    Womit wir nicht gerechnet haben: Inzwischen lieben viele fill-in-Fans den Flamingo und möchten ihn behalten. Also haben wir beschlossen, dass der Flamingo nur in sein Winterquartier geflogen ist und wiederkommen wird. Er wird vielleicht ein bisschen anders aussehen – schließlich werden auch Flamingos älter – aber er wird bleiben. In der ein oder anderen Form. Mal schauen, wo er uns in den nächsten Monaten über den Weg läuft flattert.

    Wir lieben das neue Erscheinungsbild, seine Wirkung wird es vor allem im öffentlichen Raum entfalten. Wie findet ihr das Design? Bei Presse und Sponsoren gab es viel Lob. Gelungen? Nervig? Ansprechend? Langweilig? Schreibt es uns!