Es wird ein Gigantentreffen und einer der Höhepunkte des Festivals. Am Sonntagabend werden das Brussels Jaz Orchestra und die französische Jazzsängerin Camille Bertault gemeinsam Chansons von Serge Gainsbourg interpretieren.
Das Brussels Jazz Orchestra (BJO) lädt immer wieder Solokünstler ein, mit ihm gemeinsam zu musizieren. Gegründet wurde es 1993 von Frnak Vaganée, der es bis heute leitet, und Serge Plume, Marc Godfroid und Bo van der Werf. Jazzorchester klingt immer ein bisschen nach Swing-Bigband. Da rümpfen viele Jazzfans eher die Nase. Warum, weiß ich auch nicht so genau, vielleicht liegt es daran, dass der Swing die erste Mainstream-Stilrichtung des Jazz war und noch dazu kommerziell erfolgreich. Oder aber, dass mit dem Swing der Jazz „weiß“ wurde. Zwar wurde auch diese Jazzrichtung von Afroamerikanern erfunden, doch es waren vor allem Weiße, die ihn spielten. Auch das mag eine Rolle spielen, dass der Swing bis heute unter Jazzfans eher eine untergeordnete Rolle spielt. Man stellt sich dann immer die Salons der 1920er Jahre in Berlin vor, wo die finanzielle und künstlerische Elite des Landes in ausschweifenden Partys gegen den Untergang antanzt.
Davon ist das BJO allerdings weit entfernt. Das Orchester lädt sich immer wieder Gaststars ein, mit denen es eigenen Kompositionen oder arrangierte Songs von anderen Künstler:innen spielt. Das führt zu großer Vielfalt und einem tollen Mix aus dem voluminösen Sound einer Jazz-Bigband mit üppigem Bläserensemble und den Einflüssen von Musik aus aller Welt. Mit David Linx nahm man ein Brel-Album auf, mit der südafrikanischen Sängerin Tutu Puoane gleich zwei Alben und „Smooth Shake“ mit Bert Joris ist einfach ein tolles Album, weil Smooth Jazz hier nicht zur Fahrstuhlmusik verkommt. Eine meiner Lieblingsplatten des BJO ist „Ten Years Ago“ mit Star-Akkordeonist Richard Gaillano.
Ich bin aber nicht sicher, ob es meine Lieblingsplatte bleibt, denn nun hat das BJO ein Album mit Camille Bertault aufgenommen. Gewidmet ist es den Songs von Serge Gainsbourg. Mit der Französin hat man eine Jazzvokalistin ausgewählt, die in Frankreich ein aufstrebender Star ist und dort hochgehandelt wird. Kein Wunder, denn ihre Stimme ist grandios, ihre Alben durchweg ein Ohrenschmaus. Das Jazzmagazin Downbeat lobt sie als „intelligente Stimmgymnastin“ und das trifft es ziemlich gut, weil Bertault mit ihrer Stimme nichts mühsam erscheint, ihre Phrasierung ist so sinnlich und perfekt, dass man sich sofort in ihre Stimme verliebt.
Nichtsdestotrotz ist es ein Experiment und ein Wagnis, sich an Gainsbourg zu trauen, den Nationalheiligen des Chansons in Frankreich. Kann es gut gehen, wenn eine fröhliche und selbstbewusste junge Frau den Weltschmerz und die Selbstzweifel von Gainsbourg interpretiert? Um es vorwegzunehmen: die musikalischen Arrangements der Orchestermitglieder sind großartig umgesetzt und hier zeigt sich die ganze Klasse der Bigband.
Zurück zu Camille Bertault. Sie entpuppt sich als perfekte Besetzung für den Gesangspart, weil sie so viel Liebe in die Interpretation der Songs legt und ihre Stimme einfach perfekt passt. Mal lasziv hauchend, dann wieder aggressiv fordernd, dann heiter oder melancholisch, stolpert sie hastig vorwärts, hält inne und schlägt gesangliche Kapriolen. Sie setzt die Texte emotional einfach genial um. Und so sing sie Evergreens wie „Couleur Café“ und „La Javanaise“, aber auch unbekanntere Stücke wie Elisa aus Jacques Rouffios erstem Film „Der Horizont“ (L’horizon) aus dem Jahr 1967. Gerade dieses Stück ist so brillant umgesetzt, dass es das Original übertrifft.
So macht es Spaß, zu „Le Poinçoneur des Lilas“ mitzupfeifen, zu „Je suis venu te dire que je m’en vai“ zu wippen oder bei „La javanaise“ mitzusingen, wenn Bertault haucht: Ne vous déplaise/En dansant la Javanaise/Nous nous aimions/Le temps d’une/Chanson/… Ich bin sicher, die Liebe zur Musik des Brussels Jazz Orchestra und Camille Bertault dauert länger als ein Lied!