Curtis – I love you

„Curtis Stigers“ war 1991 eines meiner ersten Alben auf CD. Während die meisten Jazz-Enthusiasten auf Vinylplatten bestanden, siegte bei mir der Nerd in meinem Innersten. Die silbernen Platten versprachen perfekten Sound, waren klein und recht unempfindlich.

Ich hatte natürlich „I Wonder Why“ gehört und fand den Song super, obwohl es als Mainstream-Ballade eher nicht in mein musikalisches Beuteschema passte. Auch „Your’re all that Matters to me“ war cool. Und bei dem Bläsersounds zu Beginn von „The Man Your’re gonna fall in Love with“ zitterten die Scheiben. Die Songs waren mit viel Blech arrangiert, sehr modern und dazu die rauchig-unverwechselbare Stimme des jungen Curtis Stigers.

Und der Typ auf dem Cover sah einfach sympathisch aus. Schulterlanges Haar und ein leicht unsicherer Blick, der versucht, Selbstbewusstsein vorzutäuschen.

Curtis Stigers in dieser Zeit als Schnulzensänger und Pop-Phänomen abzutun, greift aber zu kurz. Auch wenn Stigers vor allem über die Liebe und seine Sorgen damit sang, hatte man nie das Gefühl, das sei irgendwie „drüber“ und triefe vor Schmalz. Vielleicht, weil man ihm einfach abnahm, was er da sang.

Produziert worden war das Album von dem jungen Glen Ballard, der damals noch recht unbekannt war, später aber Michael Jackson, Alanis Morissette, Anastacia, Aerosmith, Katy Perry und viele weitere Stars betreute. Ballard bewies immer wieder sein Talent, junge Künstler:innen zum Durchbruch zu verhelfen. Auch bei Stigers war Ballard als Toningenieur und Arrangeur dabei.

Außerdem als Produzent dabei war Danny Kortchmar, den viele als Gitarristen von Carol King und James Taylor kennen. Aber Kortchmar war zu jener Zeit auch schon ein bekannter Produzent, der Neil Young, Billy Joel, Toto und Jon Bon Jovi produzierte. Die beiden Produzenten hatten großen Anteil daran, dass Stigers Platte zum Megaerfolg wurde und sich millionenfach verkaufte.

Die 1990er-Jahre verschluckten Curtis Stigers – zumindest für mich. Die Alben „Time was“ und „Brighter Days“ waren gut, aber der außergewöhnliche Sound war im Mainstream angekommen und Stigers vom eigenen Erfolg überrannt worden. Die wuchtigen Arrangements zogen nicht mehr so richtig, außerdem erlebte der Techno seine Blütezeit und der Gangsta-Rap der Westcoast war angesagt. Wer cool sein wollte, hörte nicht Curtis Stigers.

Ich versank derweil endgültig im Jazz, für mich gab es nur den Jazz der 1950er- und 1960er-Jahre, ein bisschen Funk und Soulmusik – alles andere war „Mainstream-Scheiß“. Ich lümmelte im Hades bei günstigen Spaghetti und „geiler“ Musik und verbrachte Nächte in der Gießkanne, die damals legendäre Jazzkonzerte mit Größen des Genres bot. Ein bisschen fühlte man sich wie im Village Vanguard oder dem Birdland in New York. Hier war der Mief der Kohl-Ära weit weg.

Im Jahr 2002 fiel mir dann Stigers neue CD „Secret Heart“ in die Hände. Ich hab ohne große Erwartungen reingehört und war baff. Das war purer Jazz. Schon mit dem Album „Baby plays around“ hatte Stigers sich deutlich dem Genre zugewandt. Die Blechbläser waren weg, die klassische Jazzcombo mit Piano, Schlagzeug und Kontrabass war an ihre Stelle getreten und die Texte in einen swingenden Sound gehüllt. „Parker’s Mood“ war eine Anspielung auf Charlie Parker und auch der Jazzstandard „Billie’s Bounce“ eine Hommage an den großen Jazzsaxophonisten, der den Song eingespielt hatte. Stigers setzt den Song ganz auf seine Weise um, er spielt mit seiner Stimme im Scat und machte sie zum Instrument. Dazu ein getriebener Sound, Soli der Instrumente, die sich in den Vordergrund spielten und dann wieder zurück in Reih`und Glied treten und Platz machen für Stigers. Wow!

Den eingeschlagenen Weg ging Stigers konsequent und mutig weiter. In den Charts war er damit nicht mehr vorne, aber man merkt ihm einfach an, dass er sich im Jazz zu Hause fühlte und es ihm und seiner Musik guttat. Er experimentierte viel mit Jazz-Sounds, nahm auch mal lateinamerikanische Rhythmen auf, integrierte Einflüsse aus der New York Jazzszene und probierte Neues. Da durfte dann auch mal eine Hammondorgel Soli spielen und eine Trompete übernahm den Melodiepart, wie etwa in „Lately I let things slide“ auf dem Album „Gentleman“.

Dann kam Corona und die Welt stand still. Bei vielen Künstlern setzte die Pandemie aber auch kreatives Talent frei. Curtis Stigers wollte Musik machen und er wollte ein Publikum. So lud er regelmäßig auf YouTube in seine Küche ein, gab von dort Konzerte und offenbarte sein Talent als Entertainer. Stigers sang nicht einfach nur, er unterhielt sein Publikum mit Anekdoten. Mit Gitarre und Saxophon coverte er Songs und stellt eigene vor.

Mit „Songs from my kitchen, Volume 1“ legt Curtis Stigers nun ein Album vor, dass Quintessenz dieser Zeit ist. Ob es ein weiteres geben wird, ist noch nicht klar, aber Stigers selbst sagt: „Ich dachte mir, ich lass die Tür offen.“ Material genug gibt es, die 53 einstündigen Episoden sind voll von grandioser Musik. Und natürlich mit einer jazzigen Version von „I wonder why“.

Ich muss gestehen, dass ich sehr neugierig auf dieses Konzert bei fill in bin. Ich bin sicher, dass es ein unvergessliches Erlebnis wird. Es ist nicht nur eine Begegnung mit meiner Jugend, das Konzert wird die Intimität der Küchenkonzerte mit der Dynamik eines Live-Jazzkonzerts verbinden. Das kann nur gut werden.