Schlagwort: Stochelo Rosenberg

  • Die Kings of Strings

    Die Kings of Strings

    Als Mitte der 1990er-Jahre die Weltmusik im Mainstream abseits der Esoterik ankam, war ich immer dann besonders fasziniert, wenn sich Jazz mit Elementen der Weltmusik, also eher traditioneller folkloristischer Musik, mischte. Angetan hatte es mir vor allem der Klezmer, zu dem ich den saarländischen Klarinettisten Helmut Eisel kam. Diese Lebensfreude, die sich auch in den dunkelsten Zeiten nicht vertreiben ließ, fand ich faszinierend.

    Neben afrikanischer Weltmusik bin ich auch beim Gypsy-Jazz hängen geblieben. Django Reinhardt, aber auch Opa Tsupa, Schnuckenack Reinhardt, Biréli Lagrène oder Prinzo Winterstein gehörten für mich zu den Großen.

    Für mich war das immer eine Mischung aus beschwingter Sinti/Roma-Folklore mit starken Anteilen an Improvisation. Erst sehr viel später habe ich begriffen, dass das nicht einfach eine zusammengeklöppelte Mischung ist, sondern dass die Ferret-Brüder Baro, Sarane und Matelo und Django Reinhardt Ende der 1920er-Jahre begannen, mit den Gitarren im Mittelpunkt die traditionelle Musik der Sinti mit swingenden Valse-Musette-Klängen zu verbinden und über gebrochene Akkorde improvisierten und damit den ersten europäischen Jazzstil schufen.

    Bis heute ist diese kulturelle Leistung kaum be- und noch viel weniger anerkannt. Im Mittelpunkt immer die Gitarren, häufig ergänzt um Violine und/oder Kontrabass. Dabei übernimmt eine Gitarre meist den Lead und die Melodie, während die andere den Rhythmus bestimmt, das wechselt aber auch in atemberaubender Geschwindigkeit. Lead- und Rhythmusgitarre wechseln wild hin zu zurück, dazwischen wird scheinbar wild improvisiert. Richtig bunt wird es, wenn mehrere Gitarren dabei sind und man als Zuhörer schwindlig gespielt wird. Ruhig sitzen zu bleiben, ist dann selbst für mich als bekennendem Nichttänzer schwierig.

    Eine nicht unwesentliche Rolle bei der Entwicklung spielten die Manouches – bis heute hält sich der Terminus „Jazz Manouche“ insbesondere im französischsprachigen Raum. „Manouche(s)“ ist die Bezeichnung für die Sinti aus der heutigen Region Grand Est, die vor allem aus dem Elsass stammen.

    Zu den großen Dynastien dieses Genres gehört zweifellos die Familie Rosenberg. Zu den Begründern muss man sicher Latcheben Grünholz, dem Großvater der gerade aktuellen Generation um Stochelo und seinen Bruder Mozes, zählen, aber auch deren Cousins Jimmy und Romane Rosenberg sowie die Neffen Nous’che und Nonnie Rosenberg. Auch der Onkel Waso Grünholz war ein herausragender Musiker, genauso wie der Vater Mimer.

    Bedeutendster Musiker in der Familie ist aber zweifellos Stochelo, der insbesondere mit dem Rosenberg Trio (Nous’che [Gitarre] und Nonnie Rosenberg [Kontrabass]) zur Weltspitze des Gypsy-Jazz gehört. Mehr als 20 Alben haben die drei Musiker veröffentlicht, auf zahlreichen Jazzfestivals weltweit waren sie zu Gast. Imme wieder gesellten sich andere Mitglieder der Familie mit auf der Bühne, in wechselnden Konstellationen haben die Musiker die Bühne für Begeisterungsstürme gesorgt. Zuletzt gehörten neben Stochelo sein Bruder Mozes und der Gitarrist Paulus Schäfer zum Trio.

    Eines der Live-Alben von Stochelo trägt den vielsagenden Titel „Kings of Strings“ (mit Tommy Emmanuel und Vlatko Stefanovski) und tatsächlich trifft es das ganz gut. Kaum jemand spielt so virtuos Gitarre wie er und nicht umsonst zählt Rosenberg zu den besten Gitarristen weltweit. Imme wieder sprengt Stochelo auch Grenzen, nähert sich mal dem Chanson an (wie im legendären Album Serestra Double deluxe), wagt wilde Ritte durch alle Genres (wie im Album „Tribulations“ mit Romane Rosenberg) oder ist ganz nah am Jazz US-amerikanischer Prägung, wie im Album „Double Jeu“.

    Nun wagt Stochelo mit seinem jüngeren Bruder Mozes erneut neue Wege. Die beiden waren Teil eines Filmprojekts von Carmen Chaplin, einer Enkelin von Charlie Chaplin. Lange war es nur eine Vermutung, doch Carmen weist in ihrem Dokumentarfilm aus dem Jahr 2024 nach, dass Charlie Chaplin Sinti-Vorfahren hatte. Chaplin war, das zeigen handschriftliche Notizen, sich dieser Tatsache sehr bewusst und hielt sie doch geheim. Der Film beleuchtet den Einfluss der Sinti-Kultur auf Chaplins Werk, insbesondere auch auf seine Musik, denn Chaplin komponierte die Musik für seine Filme häufig selbst, erhielt dafür sogar 1973 mit Raymond Rasch und Larry Russell einen Oscar.

    Bei fill in stellen Stochelo und Mozes Rosenberg erstmals gemeinsam mit Kontrabassist Matheus Nicolaiewsky ihr neues Album „Stochelo & Mozes Rosenberg play Charlie Chaplin“ vor, dass Chaplins Musik aufgreift und ganz persönlich interpretiert. Eine Hommage an Chaplin und seine Musik. Und eine Weltpremiere!