Schlagwort: Charlotte Planchou

  • Geheimtipp? Charlotte Planchou!

    Geheimtipp? Charlotte Planchou!

    Als unser künstlerische Leiter Oliver Strauch in Vorbereitung auf das Festival in diesem Jahr im November oder Dezember 2024 erstmals den Namen Charlotte Planchou als Musikern für die kommende Ausgabe erwähnte, konnte ich nur mit den Schultern zucken. Charlotte wer? Ich hab natürlich gegoogelt und schnell fest gestellt, dass ich da eine deutliche Lücke in meinem Leben als Jazz-Aficionado habe. Das mag daran liegen, dass ich stark im Modern Jazz verhaftet bin und den traditionellen Stilrichtungen der 1950er- und 1960er-Jahre. Sich hier auszukennen Bedarf schon einiges an Hören, Sehen und Lesen. Nimmt man zeitgenössische Jazzmusiker hinzu, die in dieser Tradition stehen, dann wird es noch viel unübersichtlicher. Zum anderen mag es darin begründet sein, das selbst bei den großen französischen Festivals der französische Jazz in den letzten Jahren und Jahrzehnten vor allem von afrikanischen Jazzern beherrscht wird und ich mich dort einfach inzwischen sehr zuhause fühle, weil es meinem Lebensgefühl entspricht. Ein Fehler, wie ich nun freimütig gestehen muss.

    Doch auch wenn Planchou in Deutschland noch weitgehend unbekannt ist, ist sie in Frankreich längst ein Star oder zumindest auf dem Weg dahin. Im vergangenen Jahr wurde sie vom französischen Jazz Magazine zur „Sängerin des Jahres“ gekürt. Gerade erst hat ihr die Académie du Jazz bei den Palmarès-Verleihungen den „Prix Evidence“ verliehen. In den Kommentarspalten bei Social Media wird sie in den höchsten Tönen gelobt, gar als Genie gefeiert. Wer also ist Charlotte Planchou?

    Und wieder war ich erstaunt. Planchou ist Saarländerin. Sie wurde als Tochter einer deutschen und eines Franzosen in Homburg geboren und wuchs dort und in Schmelz auf. Als sie fünf Jahre alt war, zog die Familie nach Paris, wo Planchou auch heute noch lebt. Die Sängerin spricht sehr gut deutsch, auch wenn sie es seit der Kindheit kaum noch spricht. Lustigerweise hört man gelegentlich, dass sie aus dem Saarland kommt, etwa wenn sie „nedd“ statt „nicht“ sagt.

    Planchou studierte Opengesang an der renommierten Haute École de Musique de Lausanne, wandte sich aber nach ihrer Rückkehr bald dem Jazzgesang zu. Wie so oft ist es ein Zufall. Mit einem befreundeten Jazzgitarristen, singt sie auf der Straße. Opernsängerin wollt sie eh nie werden, ihr gefielen einfach die Openstücke und die Art, über den Gesang Geschichte zu erzählen. Doch sie ist hingerissen vom Jazz, der ihr musikalisch mehr Freiheit gibt. Neben wenigen Eigenkompositionen singt sie vor allem Cover. Für sie ist es, so erzählt sie, kein Unterschied, ob sie eigene oder fremde Songs interpretiert, sie möchte erzählen.

    Mit „Petite“ erschien 2021 ihr erstes Album. Die französische Fachpresse überschlug sich mit Lob, Planchou wurde zu Jazzfestivals weltweit eingeladen. Bald gilt die junge Künstlerin als echter Tipp. Mainstreamig, poppig, aber mit ganz viel jazzigen Ecken und Kanten.

    Planchous neue, zweite Platte, heißt „Le Carillon“ (dt. „Glockenspiel“) und geht mutig weiter. Das Album startet mit „Green sleeves“. Langweilig, hat man schon Hunderttausendmal gehört. Ein Schmachtfetzen aus Elisabethanischer Zeit, der wehklagend die Liebe zu einer jungen Dame in grünem Kleid betrauert. Doch weit gefehlt. Bei Planchou hat man fast das Gefühl, das Lied zum ersten Mal zu hören, weil sie es so wunderbar interpretiert, das man selbst an die vergangenen Lieben seines Leben erinnert wird. Und dann ist da noch Mark Prioré, der aktuell zu den besten Jazzpianisten gehört und die Melodie einfach genial umsetzt. Es ist ein Genuss, sein Spiel zu hören.

    Auch im nächsten Stück ist das Piano allgegenwärtig und nicht bloße Begleitung der Stimme. „C’est la vie“ von Benjamin Britten. Sanft und beschwingt singt Planchou über das Leben. Ein echte Leckerbissen ist „A Sant Jan“, das selbst viele Franzosen nicht kennen, obwohl es längst zu den Klassikern des Chanson im Land gehört. Grund dafür dürfte der Gesang in einem okzitanischen Dialekt sein. Das Lied komponierte der provençalische Sänger Jan-Mari Carlotti. Und auch hier muss man wieder betonen, dass Prioré das Werk kongenial umsetzt. Den Flügel nutzt er mehr als Perkussionsinstrument denn als Tasteninstrument und hämmert, klopft und traktiert die Saiten. Planchou singt und spielt Gitarre und macht mit ihrer Stimme, das, was Prioré mit seinem Instrument macht. Sie fordert die Stimmbänder aufs Äußerste und schnalzt und scattet Melodien.

    Und es setzt sich ähnlich fort. „L’Albatros“ von Chansonnier Léo Ferré ist ein opulentes Werk, dass die ganze Qualität von Planchou erst richtig zeigt. Die musikalische Reduzierung des Originals auf das Klavier tut dem Song gut und bringt Planchous unglaubliche Stimme ganz zur Geltung. Es folgt „Die Moritat von Mackie Messer“ von Brecht und Kurt Weill, dann das portugiesische „tin tin por tin tin“, das vor allem durch Joao Gilberto bekannt wurde. Dann liest man „How happy the lover“ und ist erstmal verdutzt. Es gibt ein gleichnamiges barockes Stück aus der Oper „King Arthur“ von Henry Purcell, aber… Doch, das geht. Planchou schafft es, denn Kern der Melodie und den barocken Ton erkennbar zu erhalten und transferiert das Stück doch chansonhaft in das 21. Jahrhundert. Wow! Sehr ungewöhnlich, aber wow!

    Dann wird es wieder beschwingt und heiter. Planchou singt Carole Kings „You’ve got a friend“. Planchou kann auch poppig. Es macht Spaß, ihr zuzuhören und man wippt einfach mit. Mit „Ton Amant de Saint Jean“ gibt es dann wieder einen echten Chanson, eines der großen Stücke von Edith Piaf. Im letzten Song dann eine Rückkehr zu Benjamin Britten, der den englischen Kinderreim „Cuckoo, Cuckoo, what du you do?“ (dt. „Kuckuck, Kuckuck, was tust du?) vertont hat. Ein melancholisch schönes Stück und eine kleine Perle von Britten.

    Den Titel trägt das Album übrigens von den drei kurzen Instrumentalstücken, die das Album beginnen und dann immer wieder als experimentelles Intermezzo einfließen.

    „Le Carillon“ lebt von der gesanglichen Qualität Planchous und dem Können Priorés. Da haben sich wirklich zwei Musiker gefunden, die einfach wunderbar zusammenpassen. Hinzu kommt der Effekt, dass man sich immer wieder darauf gefasst macht, dass man das Lied ja schon kenne und dann wieder überrascht wird, wie eigenständig das Stück interpretiert wurden. Das Album ist wirklich ein großes Stück Jazzmusik, das uns da geschenkt wurde. Es wird spannend, Charlotte Planchou live auf der Bühne zu erleben, denn ihre Bühnenpräsenz ist atemberaubend.