Dhafer Youssefs Tour alleine in diesem Jahr spricht Bände: Er ist beim Jazzfest in Budapest, bei Jazz à Vienne, besucht das La Défense Jazz Festival in Paris, spielt beim beim Montreal Jazz Festival, beim Festival Arabesques und natürlich bei fill in – International Jazz Festival Saar.
Ich habe Dhafer Youssef erstmals mit seiner zweiten Platte „Electric Sufi“ wahrgenommen. Als jemand mit türkischem Migrationshintergrund erkenne ich natürlich sofort das Instrument, dass Yousef spielt, auch wenn es in der türkischen Musik kaum vorkommt. Die arabische Oud ist eine Kurzhalslaute, die Saz (in der Türkei häufig die mittellange Bağlama) eine Langhalslaute.
Auch wenn beide unterschiedlich klingen und auch anders gespielt werden, sind sie sich nicht unähnlich. Die Oud klingt aber weicher und mit ihr lässt sich auch besser improvisieren. Während die Saz mit einem Plektrum gespielt wird, lässt sich die Oud mit Plektrum und Fingern spielen, was das Spektrum der Möglichkeiten erweitert.
Als „Electric Sufi“ 2001 erschien, war ich gerade ein bisschen von der reinen Lehre des Jazz abgekommen und schaute mich stark in der Weltmusik um. Am liebsten dort, wo Jazz und Weltmusik sich überschnitten, etwa Musiker wie Nguyên Lê, Abdullah Ibrahim, natürlich der Buena Vista Social Club und viele afrikanischstämmige Musiker , die unbekümmert Jazz, Pop und Folkloristisches mischten. So musste man zwangsläufig irgendwann auch über den Namen Dhafer Youssef stolpern.
„Electric Sufi“ war so anders als alles, was ich bisher kannte. Da war ein Musiker, der sich um Genre und musikalische Grenzen nicht scherte. Fröhlich kombinierte Youssef die Oud mit elektronischen Klängen des Synthesizers, Kontrabass, indischer Perkussion, europäischem und US-amerikanischem Jazz und kreierte etwas komplett Neues. Orientalische Sufi-Musik trifft auf Jazz, Rock, Elektro, Klassik und arabischer und indische Musik. Es entstand eine Musik, die den Zuhörer wie auf einem Teppich davon trägt in moderne arabische Städte, nach New York, nach Neu-Delhi, in die Wüsten des Nahen Ostens und in die Medina von Tunis.
Bei Youssef hatte man erstmals das Gefühl, es gibt so etwas wie einen arabischen Jazz und er war für dieses Genre tatsächlich ein ähnlicher Vorreiter wie Jan Garbarek Jahre zuvor für den nordischen Jazz. Mit dem Album „Birds Requiem“ nimmt er die ätherisch wabernden Sounds auf, für die Garbarek so bekannt wurde, und würzte sie mit einer Prise Orient.
Youssef ist aber nicht nur ein außergewöhnlicher Oud-Spieler, er nutzt seine mehrere Oktaven umfassende Stimme als Instrument und mischt in westliche Jazz-Klänge den typischen arabischen Gesang, den man sofort erkennt. Was sich wie Sprache anhört, ist meist nur ein Aneinanderreihen von Tonsilben, die ineinanderfließen. Das hinterlässt eine sehr ruhige, fast kontemplative Stimmung, die den Zuhörer in eine Welt von Tausendundeiner Nacht entführt. Aber Youssef singt auch arabische Texte.
Wenn man dem Tunesier eines nicht vorwerfen kann, dann dass er langweilig ist. In den letzten beiden Jahrzehnten bewies er, wie viel Kraft in ihm und seiner Musik steckt. Obwohl Youssef seinem einmal entwickelten Stil treu geblieben ist, hat er sich konsequent weiterentwickelt.
Mit dem aktuellen Album „Street of Minarets“ geht der Jazzmusiker den eingeschlagenen Weg weiter, integriert aber etwas stärker einen westlichen Jazz-Sound. Das wird schon im titelgebenden „Street of Minarets“ offensichtlich: Unter seinen arabischen Gesang legt Youssef einen modernen Jazzklangteppich. Auch in „Funk Sharq“, „Sudra Funk“ oder „Herbie’s Dance“ stehen die Jazzsounds gleichberechtigt neben Oud und arabischem Gesang.
Warum das so ist, verrät die Entstehungsgeschichte der Platte. Der in Frankreich lebende Künstler lud mehrere Kollegen ein, mit ihm gemeinsam Musik zu machen. erst Mals feststand, wer dabei sein würde, komponierte Youssef. Herbie Hancock, Rakesh Chaurasia, Ambrose Akinmusire, Nguyên Lê, Dave Holland, Adriano Tenorio und Vinnie Colaiuta sind mit dabei. Insbesondere Hancock, Lê und Holland dürften vielen etwas sagen, zählen sie doch schon lange zu den Weltstars des Jazz.
Auch Chaurasia ist kein unbekannter. Der indische Flötist ist kein Jazzmusiker, gehört aber zu den ganz großen der indischen Musik. Der US-amerikanische Jazztrompeter Akinmusire schwingt sich gerade zu den Großen auf. Seine Alben werden vom Jazzmagazin Downbeat fast immer mit den selten vergebenen fünf Sternen bewertet. Adriano Tenorio kenne zwar nur eingefleischte Jazzfans, die verehren den Schlagzeuger für seine Spielfreude und Improvisationskraft dafür umso mehr. Seinen Schlagzeugkollegen Vinnie Colaiuta dürften dann wieder viele kennen, weil er mit allen großen Musiker:innen auf der Bühne stand: mit Leonhard Cohen und Frank Zappa, Herbie Hancock und Chick Corea, Sting und Billie Evans.
Entstanden ist ein Album, das einfach nur Spaß macht. Man merkt, dass die Musiker im Studio wirklich mit Lust und Laune gearbeitet haben. Andächtig lauscht man den sphärischen Klängen von „Flying Derwish Outro“, wippt bei „Spinning Hermit“ mit und bekommt mit „Bal D’âme“ feinsten Pianojazz von Hancock mit der Begleitung von Youssef an der Oud. Ein Dialog zweier großer Musiker. Ich freu‘ mich. Der Abend mit Dhafer Youssef wird ein rauschendes Jazzfest werden!